Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich und er und null Verkehr

Ich und er und null Verkehr

Titel: Ich und er und null Verkehr
Autoren: Kim Schneyder
Vom Netzwerk:
Finger etwas von der Spitze
ab. »Mach mal so!« Sie zeigt mir einen Kussmund.
    Ich gehorche, und sie streicht mir den Balsam auf die Lippen.
    Â»Und jetzt mach mmmaa!«
    Ich mache »mmmaa« , und dann ist es
perfekt. Meine Lippen wirken plötzlich voller, ohne rot zu sein, und das
Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegenlächelt, kann man ohne Übertreibung
als hübsch bezeichnen.
    Â»Na bitte, ein bisschen Lipgloss bewirkt Wunder. Du siehst super
aus«, lächelt auch Susi zufrieden.
    Â»Ach, Susi, du bist ein Genie!« In einer plötzlichen
Gefühlsaufwallung springe ich hoch und umarme sie.
    Â»Hey, hey, Vorsicht«, wehrt sie mich sanft ab. »Wir wollen doch
nicht alles wieder verschmieren.«
    Â»Oh ja richtig. Und was soll ich anziehen?«
    Â»Was hast du denn mit?«, will Susi wissen.
    Ich breite meine Kleidersammlung vor ihr aus. »Hier hätte ich einen
Hosenanzug … dann noch das Kleid … oder vielleicht diese Jeans mit dem
hellblauen Pullover …«
    Susi zieht skeptisch die Augenbrauen zusammen. Sie nimmt den
Hosenanzug und hält ihn hoch. »Zu altmodisch.« Dann zupft sie an meinem gelben
Sommerkleid herum. »Zu mädchenhaft.« Die Jeans und den Pulli streift sie
überhaupt nur mit einem verächtlichen Blick. »Zu … skifahrermäßig.«
    Â»Was meinst du mit skifahrermäßig?«
    Â»Ach, ist jetzt egal«, meint sie und kratzt elegant die Kurve.
»Weißt du was? Ich werde mal sehen, ob ich bei meinen Sachen was Passendes
finde, und du guckst inzwischen nach deinen Ausdrucken, okay?«
    Ja, genau, die Ausdrucke. Noch ein Teil meines Plans, genau genommen
der wesentliche.
    Mein Buch setzt sich nämlich aus mehreren abgeschlossenen
Geschichten zusammen. Zwei Jungen, Max Clever (der Schlaue) und Joey Dump
(genau, der Blöde) erleben verschiedene Abenteuer, die allesamt in derselben
Erkenntnis gipfeln: Wer brav und klug ist wie Max, der streicht am Ende seine
Belohnung ein, und Doofe wie Joey stehen zum Schluss mit leeren Händen da.
Insgesamt habe ich zwanzig solcher Episoden zu Papier gebracht, aber an die
Verlage geschickt habe ich nur drei davon. Erstens, weil die am Anfang sowieso
nicht alles lesen. Zweitens, weil es nicht schaden kann, wenn sie um den Rest
ein bisschen betteln müssen. Und drittens: Wer weiß, am Ende klaut mir noch
einer meine hervorragenden Ideen und verarbeitet sie selbst zu einem Bestseller.
    Aber inzwischen haben wir ja eine völlig andere Situation. Dr.
Baumann will mehr sehen, also soll er auch mehr bekommen. Alles, um genau zu
sein, und deswegen habe ich vorhin gleich meinen Computer hochgefahren und
einen Gesamtausdruck geordert, in bester Druckqualität, versteht sich.
    Jetzt flitze ich schnell rüber in mein Zimmer und stelle fest, dass
der doofe Computer bei Seite zweiundfünfzig gestoppt hat – weil die Papierlade
leer war. Wie dumm von mir. Ich fülle Papier nach.
    Als ich wieder zurück bin, scheint Susi schon das Richtige für mich
gefunden zu haben. »Probier das mal an«, sagt sie strahlend.
    Ich mustere die Sachen mit einem kritischen Blick. » Das soll ich anziehen?«, frage ich skeptisch.
    Â»Allerdings. Nun mach schon, rein mit dir!«
    Als ich eine knappe Stunde später vor dem Gebäude des
Beckstein-Verlages einparke, ist mir ganz flau im Magen.
    Dabei bin ich eigentlich gut gerüstet. Das Outfit, das Susi mir
verpasst hat, ist echt der Hammer: ein sündig kurzer schwarzer Rock, dazu ein
enges weißes Top mit einem Push-up darunter, der meine Brüste keck emporragen
lässt, und ein ebenfalls schwarzer Blazer aus Wildseide sowie hohe
Gucci-Sandaletten – das wird Dr. Baumann umwerfen, da bin ich mir sicher.
    Allein dieses Gebäude: ein riesiger Prachtbau, vermutlich Barock
oder Jugendstil oder Klassizismus – was weiß ich –, kombiniert mit modernen
Elementen aus Stahl und Glas. Bereits die breite Marmortreppe am Eingang lässt
einen in Ehrfurcht erstarren.
    Was soll’s, rede ich mir ein, eigentlich brauchen die doch mich. Ich
meine, wieso können die sich denn so ein Gebäude leisten? Doch nur, weil kluge
und wortgewandte Autoren ihnen gute Bücher liefern. Autoren wie ich. Also, wenn
da wer vor Ehrfurcht erstarren sollte, dann doch wohl die. Ich kann mir doch
jederzeit einen anderen Verlag suchen, nicht wahr?
    Hochmotiviert schnappe ich mir den Aktenkoffer, den ich mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher