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Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich

Titel: Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
Autoren: Stella Bettermann
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ohne die katzarides aus den Augen zu lassen. Ich konnte ja schlecht nachts nach dem Pappous schreien – da hätte ich ja die ganze Nachbarschaft geweckt.
    Also hieß es schnell sein, bevor die Biester in meine Richtung huschen konnten. Vor lauter Nervosität schmiss ich meistdas Toilettenpapier einfach in die Schüssel und nicht in das dafür vorgesehene Körbchen daneben, obwohl das eigentlich in Griechenland strengstens verboten ist – auch heute noch: Die Abwasserrohre sind hier nämlich so eng, dass Klopapier alles verstopfen würde. Wenige Tage nach unserer Ankunft lief dann meist die Toilette über, und der arme Pappous musste das Klo wieder in Gang bringen.
    Einmal passierte es dann: Ich riss die Küchentür auf und rannte wie immer los, als würde ich von hunderten katzarides gejagt – und dann trat ich mittenrein, auf eine riesige Monsterkakerlake, und zerquetschte sie mit meinem bloßen Fuß, dass die fleischigen Innereien zwischen meinen Zehen hervorquollen. Ich stieß einen spitzen Schrei aus und glaubte, ich müsse auf der Stelle ohnmächtig umfallen.
    Es dauerte eine Weile, bis ich in der Dunkelheit entdeckte, dass es gar keine Kakerlake gewesen war, sondern nur eine reife Feige, die vom Baum auf den Weg geplumpst war. Die Angst, einmal auf ein echtes Ungeziefer zu treten, war damit aber natürlich nicht besiegt.
    Mein kleiner Bruder umging das Problem, indem er im Haus der Yiayia plötzlich wieder ins Bett machte; Yiayia kommentierte die nassen Laken immer augenzwinkernd mit den Worten: »Der arme Junge hat heute Nacht wieder so geschwitzt« und bezog das Bett frisch.
    »Aber du musst wirklich keine Angst vor den katzarides haben, das weißt du doch«, sagte Yiayia nun am Frühstückstisch. »Die sind zwar hässlich, aber sie tun gar nichts. Sie sind noch harmloser als kleine Mücken, und vor denen hast du doch auch keine Angst – dabei stechen sie.« Und wie sie stachen, unsere Beine und Arme waren in Yiayias Haus immer von Stichen übersät.
    Ich fürchtete allerdings, eine katzarida könne es eines Tages über die Bettpfosten zwischen meine Laken schaffen –dieser Gedanke erschreckte mich noch viel mehr als das Risiko, draußen auf eine Kakerlake zu treten. Und so ließ ich Yiayia schwören, sie habe noch nie, nie, nie eine katzarida erlebt, die klettern konnte.
    Mittlerweile war auch der Pappous wach und fegte den Weg im Garten, wortlos, wie immer nach dem Aufstehen: Pappous fand nämlich, das Gesicht, mit dem man morgens aus dem Bett steigt, sei keinem Mitmenschen zuzumuten, und deshalb trat er immer erst später mit seiner Umwelt in Kontakt, wenn er sich bereits gewaschen hatte. Dann erst kam er in die Küche und grüßte mit einem lauten und fröhlichen kalimera! Schließlich holte er ein Schüsselchen warmes Wasser, Seife und Rasierpinsel und begann, sich vor einem kleinen Spiegel in der Küche zu rasieren.
    Blitzschnell schabte das Messer die Seifensahne weg, nur senkrecht unter der Nase ließ er ein Bärtchen stehen, einen Menjoubart, wie er in Pappous’ Jugend in Smyrna en vogue gewesen war. Er hatte das Bärtchen auch damals nicht abgenommen, als Hitler im fernen Deutschland den gleichen Schnauzbart trug, und erst recht nicht in den Jahrzehnten später, als diese Art Bart ganz unmodern war. Er hatte sich nun einmal dafür entschieden, und von modischen Launen hielt mein Pappous wenig.
    Das hatte man irgendwann wohl auch dem Sortiment in seinem Herrenbekleidungsladen angemerkt, weshalb er ihn in den Sechzigerjahren schließen musste, um sich bei der Konkurrenz, die mehr mit der Zeit gegangen war, als Verkäufer zu verdingen – bis er über achtzig war, denn in eine Rentenkasse hatte der stolze Pappous nie eine Drachme eingezahlt. Und darum musste er nach der Rasur und einigen eilig getunkten Gebäckkringeln auch schnell zur Arbeit.
    Während allmählich auch meine Eltern und mein Bruder am Frühstückstisch erschienen, begab ich mich aufWiederentdeckungstour durch das Haus: Besonders liebte ich den so genannten Salon, einen Raum, der im Sommer nie genutzt wurde.
    Die Fensterläden des Salons waren gegen das grelle Sonnenlicht verschlossen, von draußen drang – an jedem Wochentag, an den ich mich erinnere – der Lärm von Presslufthämmern herein. Hier drinnen aber, im Halbdunkel, schien die Zeit stehen geblieben zu sein: Die Sofas waren mit beigefarbenen Überzügen im Gobelinstil versehen, die barocke Jagdszenen zeigten. In den Ecken gab es winzige runde Holztischchen, auf denen
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