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Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich

Titel: Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
Autoren: Stella Bettermann
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versprühte Speicheltröpfchen über unseren eingezogenen Köpfen, wenn er ansetzte: »Hört mir gut zu, Kinder, da könnt ihr was lernen, also, hört …« Wir hatten ein bisschen Angst vor ihm. Die Eltern und Onkel und Tanten glücklicherweise nicht. »Ja, ja, Baba, die alten Geschichten, die wollen die Kinder jetzt sicher nicht hören«, sagte Mama. »Und übrigens, hat sich mal jemand wegen des Hauskaufs gemeldet?« Da wurde der Pappous auf einen Schlag still und mahlte unter den glattrasierten Wangen mit den Kiefern.
    Die Geschichte kenne ich dennoch. Es ist die Geschichte einer Flucht. Pappous und Yiayia gehörten zu den 1,2 Millionen Griechen in Kleinasien, die 1922 aus der heutigen Türkei vertrieben wurden. Der Vorfall ging als »die kleinasiatische Katastrophe« in die Geschichtsbücher ein.
    Yiayia war die Enkelin eines griechischen Großgrundbesitzers in Soma, einem Dorf in den Hügeln oberhalb Smyrnas (dem heutigen Izmir), einem Paradies in üppigem Grün, wo Heilquellen sprudelten und die Hamams speisten, und wo alle Frauen Freundinnen waren, so erzählte Yiayia es immer. Von den Töchtern der Landarbeiter, die sich bei ihrem Großvater verdingten, lernte Yiayia Türkisch, und ihre verwitwete Mutterlernte beim Mokka in den türkischen Harems das Zigarettenrauchen, das sie dann später, im armen, karstigen Griechenland, nie lassen konnte, obwohl es sich dort für Frauen nicht ziemte.
    Yiayia war vierzehn Jahre alt gewesen, als sie das Gut und alle dort verlassen mussten, um nie wieder von ihnen zu hören. Ihre Mutter hüllte sie in schwarze Tücher, damit man sie für eine alte Frau hielt, und sie nicht von den Türken verschleppt wurde. Sie trugen nur Bündel mit sich, das Allernötigste, und als sie das Flüchtlingsschiff erreichten, hatte Yiayia sich eine Augenentzündung zugezogen, die unter den herrschenden Umständen unbehandelt blieb und sie auf dem linken Auge die Sehkraft kostete. Auf der rechten Seite büßte sie ihr Augenlicht Jahre später bei einer verpfuschten Staroperation ein.
    In Athen fand die junge Yiayia bald eine Anstellung als Notarsgehilfin, denn trotz der wenigen Jahre Schulbildung verfügte sie über ein geschliffenes Griechisch in Wort und Schrift, und so brachte sie ihre Mutter und den jüngeren Bruder durch. In jener Zeit, als mittellose Frauen sich als Wäscherinnen plagen mussten, war das durchaus etwas Besonderes.
    Auch Pappous, der in Smyrna als junger Mann einen kleinen Laden für Herrenbekleidung besaß, hatte alles zurückgelassen, als er das Flüchtlingsschiff nach Griechenland bestieg. Dort hausten bald über eine Million Kleinasienflüchtlinge und schlugen sich mehr schlecht als recht durch, denn die ansässigen Griechen hatten schon genug mit dem eigenen Überlebenskampf zu tun. Also besorgte sich der wackere Pappous einen Bauchladen und verschacherte am Hafen von Piräus so lange Haushaltsbürsten, bis genug Geld für ein neues Herrenbekleidungsgeschäft zusammengekommen war. Als er die damals neunzehnjährige Yiayia kennen lernte, konnte er es sich leisten, sie zu heiraten, obwohl Yiayia über keine Mitgift verfügte. Diesen Umstand verkündete er immer mit großemStolz: Er, Kyrios Stelios (ausgesprochen mit einem Ausrufungszeichen nach dem Namen), habe keine Aussteuer nötig gehabt, um eine Frau zu ehelichen.
    Pappous brachte es mit dem Geschäft bald zu Wohlstand und baute das stolze Haus in der Monemwassias Nummer dreizehn. Unweit davon entstanden in jener Zeit allerdings auch Notunterkünfte, in denen sich ärmere Kleinasienflüchtlinge ansiedelten, und so bekam das Viertel seinen Namen: Drapezona – Flüchtlingszone. Und dann kamen auch noch die Chemiefabriken, durch die nicht nur die Natur in Mitleidenschaft gezogen wurde.
    In der Nachbarschaft genossen unsere Großeltern stets großes Ansehen. Das war auch der Grund, warum sie ihr Haus, das mittlerweile ziemlich renovierungsbedürftig war, nie gegen eine komfortable moderne Wohnung in einer der besseren Gegenden der Stadt eintauschen wollten.
    Nachdem Pappous eine Weile mit dem Kiefer gemahlt und sich wieder beruhigt hatte, glitt sein Blick versonnen über die Tafel. Bis er irgendwann an mir hängen blieb. Und dann kam es, das, worauf ich die ganze Zeit gewartet hatte: »Die hier hat NICHTS gegessen«, tönte er vorwurfsvoll und wies mit dem Finger auf mich. Mittlerweile wurden schon die Platten mit Obst – Wassermelonen, Trauben, Pfirsiche und Feigen aus dem Garten – gebracht. Ich beugte den Kopf über
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