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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte
Autoren: Giorgio Faletti
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Leitung war. Jean-Loup stützte seine Ellbogen auf die Tischplatte und wandte sich dem Mikrofon zu, das er vor sich hatte.
    »Hallo.«
    Es knackte ein paarmal, dann war alles ruhig. Jean-Loup hob den Kopf und blickte Laurent mit gehobener Augenbraue fragend an. Der Regisseur bedeutete ihm achselzuckend, dass das Problem nicht bei ihm lag.
    »Ja, hallo?«
    Schließlich kam die Antwort durch den Äther, und der Sender schickte sie wieder in den Äther hinaus, und sie drang an jedes Ohr.
    Sie nahm ihren Platz ein in den Lautsprechern der Regie und in ihrem Geist und in ihrem Leben. Von diesem Moment an und für lange 22

    Zeit würde das Dunkel immer etwas dunkler sein, und man würde eine Menge Lärm brauchen, um dieses Schweigen zu überdecken.
    »Hallo, Jean-Loup.«
    Etwas Unnatürliches lag in dieser Stimme. Sie wirkte hohl und seltsam flach, ohne Ausdruck, ohne Farbe. Die Worte klangen in einem gedämpften Echo aus, wie von einem Flugzeug, das in der Ferne startete.
    Jean-Loup sah wieder fragend zu Laurent hinüber, der immer noch den Zeigefinger hochhielt und kleine Kreise in die Luft malte, um zu zeigen, dass die Verzerrung vom Anrufer herrührte.
    »Hallo, wer ist da?«
    Ein kurzes Zögern am anderen Ende der Leitung. Dann kam die Antwort, fast wie ein Seufzer mit ihrem unnatürlichen Nachhall.
    »Das tut nichts zur Sache. Ich bin einer und keiner.«
    »Deine Stimme klingt verzerrt, man kann dich schlecht verstehen. Von wo rufst du an?«
    Pause. Das leise Rauschen eines Flugzeugs auf dem Weg wer weiß wohin. Der Anrufer nahm Jean-Loups Bemerkung nicht auf.
    »Auch das tut nichts zur Sache, jetzt zählt einzig, dass der Zeitpunkt gekommen ist, an dem wir miteinander sprechen, auch wenn das bedeutet, dass hinterher weder du noch ich dieselben sein werden wie zuvor.«
    »In welchem Sinn?«
    »Ich werde bald ein Gejagter sein, und du wirst auf der Seite der bellenden Hunde stehen, welche die Jagd in der Dunkelheit anführen. Es ist ein Jammer, denn jetzt, genau in diesem Augenblick, sind wir, du und ich, gleich, sind wir eins.«
    »Worin sind wir gleich?«
    »Für die Welt sind wir beide nur eine Stimme ohne Gesicht, der man mit geschlossenen Augen lauscht und von der man sich sein eigenes Bild macht. Da draußen wimmelt es von Leuten, die alles dafür tun, um ein Gesicht zu bekommen, das sie mit Stolz vor sich hertragen können, um sich von allen anderen abzuheben, ohne Rücksicht auf Verluste. Es ist jetzt an der Zeit, hinauszugehen und zu sehen, was dahinter steckt …«
    »Ich verstehe nicht wirklich, was du damit sagen willst.«
    Wieder eine Pause, lang genug, um den Anschein zu erwecken, das Gespräch sei beendet. Dann kam die Stimme zurück, und manch einer hatte das Gefühl, die Spur eines Lächelns herauszuhören.
    »Du wirst verstehen, mit der Zeit.«
    23

    »Ich kann dir nicht ganz folgen.«
    Wieder gab es eine kleine Pause, als überdenke der Mann am anderen Ende der Leitung seine Worte noch einmal.
    »Mach dir keine Sorgen deswegen. Manchmal fällt es sogar mir schwer.«
    »Also, warum hast du dann angerufen, warum bist du hier und sprichst mit mir?«
    »Weil ich allein bin.«
    Jean-Loup senkte den Kopf und presste ihn zwischen seine Hände.
    »Du sprichst wie jemand, der in einem Gefängnis eingeschlossen ist.«
    »Wir sind alle in einem Gefängnis eingeschlossen. Nur dass ich mir meines selbst erbaut habe, aber es ist deshalb nicht einfacher herauszukommen.«
    »Das tut mir Leid für dich. Es kommt mir fast so vor, als könntest du die Menschen nicht leiden.«
    »Kannst du sie leiden?«
    »Nicht immer. Manchmal versuche ich, sie zu verstehen, und wenn mir das nicht gelingt, versuche ich zumindest, sie nicht zu verurteilen.«
    »Auch hierin sind wir gleich. Das Einzige, was uns unterscheidet, ist, wenn du aufgehört hast, mit ihnen zu sprechen, kannst du dich müde fühlen. Du kannst nach Hause gehen und deinen Geist ausschalten und all seine Krankheiten. Ich nicht. Ich kann nachts nicht schlafen, weil mein Leiden nie nachlässt.«
    »Und was tust du dann, nachts, um dein Leiden zu lindern?«, drängte Jean-Loup seinen Gesprächspartner ein wenig. Die Antwort ließ auf sich warten und kam schließlich ans Licht wie ein Objekt, das langsam aus verschiedenen Lagen Papier gewickelt wird.
    »Ich töte …«
    »Was soll das bed…«
    Jean-Loup wurde unterbrochen, weil Musik aus den Lautsprechern tönte. Ein leichtes, etwas melancholisches Stück mit einer eingängigen Melodie, die sich jedoch nach den
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