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Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten
Autoren: B Lyga
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war, mit ihm aufzuwachsen. Andererseits musste er nichts weiter tun, als auf eine der Billy Dent gewidmeten Websites zu gehen, wenn er Einzelheiten wissen wollte. Oder einen beliebigen Kabelkanal einzuschalten, wenn gerade eine zweistündige Dokumentation über » Butcher Billy«, der aktuell offenbar bevorzugte Spitzname, lief. Dennoch – von den Verstümmelungen und Schlägen zu lesen war eine Sache. Das andere – die sexuelle Seite – wurde meist beschönigt. Sexuell attackiert war der bevorzugte Ausdruck, eine angenehm neutrale Umschreibung, die der Fantasie des Publikums gestattete, Amok zu laufen, ohne dass die geschniegelten Nachrichtensprecher den Äther mit tatsächlichen Beschreibungen besudeln mussten. Die Vielzahl der Sünden, die sich darunter verbargen, hätte Howie kotzen lassen.
    » Dem Bericht hier zufolge nicht«, sagte Jazz. » Keine Anzeichen für sexuelle Handlungen oder dergleichen.«
    » Gut, das wäre also das«, sagte Howie und klang erleichtert. Jazz überlegte, ob es wirklich so viel besser war, nicht missbraucht, aber dennoch auf bestialische Weise ermordet zu werden. In Schmerzen und schrecklicher Angst zu sterben, entkleidet, mit abgetrennten Fingern auf einem Feld liegen gelassen? Aber solange es zu keiner Vergewaltigung kam, war es in Ordnung? Spielte das an diesem Punkt wirklich noch eine Rolle?
    » Warum hat er sie dann nackt liegen lassen?«, fragte Howie.
    Jazz überlegte. Nicht, warum der Mörder ihre Kleidung mitgenommen hatte, sondern was er damit gemacht hatte. Seine Trophäen hatte er bereits: die Finger. Hatte er die Sachen verbrannt? Vergraben?
    Er dachte an Arthur Shawcross, einen echt kranken Burschen, wenn es je einen gab. Tötete eine Reihe von Leuten im nördlichen Bundesstaat New York. Er pflegte die Sachen seiner Opfer zusammenzulegen und nahe der Leiche zu hinterlassen. Manchmal zwang er die Opfer selbst, ihre Kleidung zu falten. Wahrscheinlich veranlasste es die armen Frauen zu der Annahme, sie würden sich wieder anziehen dürfen, wenn sie nur kooperierten. Machte sie gefügiger, da sie glaubten, am Leben zu bleiben.
    Hatte Jane Doe das ebenfalls gedacht? Hatte sie sich bereitwillig ausgezogen und ihre Sachen beiseitegelegt, weil sie dachte, sie würde überleben, wenn sie nur eine Vergewaltigung überstand?
    Diese Abschürfungen an ihren Händen… Nein. Sie nicht. Sie hatte sich nach Kräften gewehrt, dessen war er sich sicher.
    » Dafür kann es eine Reihe von Gründen geben«, sagte er zu Howie, während sie das Leichenschauhaus inspizierten, um sich zu überzeugen, dass alles wieder so war, wie sie es vorgefunden hatten. » Vielleicht wollte er die Polizei aufhalten. Es könnte auch sein, dass er sie demütigen wollte. Vielleicht hat sie ihn abblitzen lassen oder sah wie jemand aus, der ihn einmal abblitzen ließ, und das war seine Rache. Oder vielleicht wollte er ihr etwas antun, konnte es aber nicht, brachte keinen hoch und hat deshalb beschlossen, sie zu erniedrigen, indem er sie nackt liegen ließ.«
    » Klingt alles vernünftig.« Howie hielt inne. » Auf eine verrückte Art vernünftig, meine ich.«
    » Klar. Aber am wahrscheinlichsten ist, dass er einfach keine Spuren hinterlassen wollte. In Kleidung kann sich immer Spurenmaterial ansammeln, und selbst wenn sie sauber aussieht, kann alles Mögliche an ihr haften. Pro Stunde fallen einem zum Beispiel drei oder vier Haare einfach vom Kopf. Das ist eine Menge Beweismaterial.«
    Howie legte eine Hand an den Kopf, als könnte er seine Haare daran hindern, auszufallen. » Ist das der Grund, warum sich dein Vater manchmal den Schädel rasiert hat?«
    » Ja. Und er fand natürlich auch, dass es cool aussah.«
    » Entschuldigung«, ertönte plötzlich eine neue Stimme.
    Howie kreischte auf wie ein kleines Mädchen, und selbst Jazz fuhr beim Klang der Stimme zusammen.
    Der Wachmann! Es konnte doch unmöglich schon eine Stunde vorbei sein! Wie…
    In der Tür stand kein Wachmann. Es war ein echter Polizist– der Deputy, den Jazz zuvor schon gesehen hatte. Der sich am Rand des Fundorts aufgehalten hatte. Er versperrte den einzigen Ausgang aus dem Leichenschauhaus, seine Hand ruhte auf dem Halfter, und er sah jetzt alles andere als verwundbar aus.
    Jazz und Howie saßen auf einer Bank im Flur des Beerdigungsinstituts, mit Handschellen aneinandergefesselt. Die Handschellen waren zu eng, obwohl Howie sofort seine Bluterkrankheit zur Sprache gebracht hatte, und am Handgelenk bildete sich bereits ein Bluterguss.
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