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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
Autoren: Stephan Harbort
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Petra und Hans Bracht alarmierten alle Nachbarn, die sie gut kannten. Und die Nachbarn spannten ihre Kinder mit ein. Denn die wussten besser als die Erwachsenen, wo man sich verstecken konnte, wo es etwas zu erleben gab oder wo sich die Kinder der Siedlung trafen.
    Es war mittlerweile 17.30 Uhr, als Christina und Roland im Haus Friesenstraße 11 schellten. Sie hatten von ihren Eltern den Auftrag bekommen, die Bewohner nach Tanja zu fragen. Es dauerte eine Weile, dann wurde aufgedrückt. Im Parterre öffnete niemand. Ein Stockwerk höher wurden die beiden schon erwartet. Der Frührentner Heinz Stüllenberg stand in der Tür: »Was gibt’s denn?«
    »Haben Sie die Tanja gesehen?«
    Der 53-Jährige stutzte einen Moment. »Das Mädchen aus Nummer 3, die kleine Bracht? Die mit den Zöpfen?«
    Kopfnicken.
    »Nee, Kinder, tut mir Leid, hab’ ich heute nicht gesehen.«
    Zwei Möglichkeiten blieben noch – die Wohnungen unter dem Dach. Bis dorthin waren es 14 Stufen. Die Holztreppe knarrte, als die Kinder sie emporstiegen. Christina zog sich an den Sprossen des Geländers hoch. Das war auch aus Holz, dunkelbraun gestrichen, hier und da war schon die Farbe abgeplatzt. Die Luft war stickig, es roch nach Essen. Oben gab es drei weiß gestrichene Türen, links und rechts wohnte jemand, die mittlere Tür führte zum Dachboden. Roland drückte auf den schwarzen Klingelknopf. Nichts regte sich. Der Junge schellte noch mal. Niemand da. Nun standen sie vor der Wohnung, die rechts vom Treppengeländer abging. An der Tür klebte ein Schild. Den mit krakeliger Schrift geschriebenen Namen konnten sie nicht lesen, die beiden gingen noch in den Kindergarten. Hier wohnte der Mann, der Tanja zwei Stunden zuvor vom Dachboden aus beobachtet hatte.
    Christina schellte, sie durfte jetzt auch mal. Als die Kinder schon wieder kehrtmachen wollten, wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet. Das verschwitzte Gesicht des Mannes wurde kaum sichtbar, und er sagte nichts. Aber sein Blick flackerte, wanderte zwischen den Kindern hin und her. Es schien so, als fühle er sich nicht wohl, als behage ihm etwas nicht. Von all dem bemerkten die Kinder nichts. Roland fragte schüchtern nach. Der Mann antwortete mürrisch mit leiser, kaum verständlicher Stimme: »Das Mädel hab’ ich nich’ gesehen!« Sofort wurde die Tür wieder geschlossen, und der Mann ging zurück in die Küche. Was Christina und Roland nicht gesehen hatten, was sie nicht hatten bemerken können: Das weiße Unterhemd des Mannes war auffallend schmutzig, er hatte sich offenbar die Hände daran abgewischt.
    Eine knappe Stunde später. Tanja war immer noch verschwunden. Die Hoffnung der Eltern, ihre Tochter bald und wohlbehalten zu finden, hatte sich nicht erfüllt. Mit jeder Minute, die ohne ein Lebenszeichen von Tanja verstrich, wurde die Befürchtung konkreter, die nackte Angst fühlbar. Hans Bracht wurde es zu bunt: »Wir müssen zur Polizei, da stimmt was nicht!«
    Auf der Wache des »Schutzbereichs II« war nicht viel los. Zwei betrunkene Randalierer mussten ausgenüchtert werden, eine Streifenwagenbesatzung hatte einen Verkehrsunfall zu bearbeiten, die übrigen Beamten erledigten Papierkram oder spielten Karten. Dann kamen die Brachts.
    »Unsere Tochter ist verschwunden«, begann Petra Bracht aufgeregt zu erzählen, »wir haben schon Stunden nach ihr gesucht. Nur ihr rot geblümtes Schürzenkleid haben wir gefunden; und ihre Schuhe, bei uns im Hinterhof. Dort war sie zuletzt.« Die 33-Jährige war den Tränen nahe, ihr Mann ergänzte: »Wir wollten eigentlich zu meiner Schwester nach Mannheim fahren, unser erster Urlaub. Ich hab’ unseren Wagen morgens noch schnell zur Inspektion in die Werkstatt gebracht. Wir warteten auf gepackten Koffern. Unseren Kindern wurde es in der Wohnung zu heiß, sie wollten raus. Seitdem haben wir Tanja nicht mehr gesehen.«
    Schnell wurde dem Polizeibeamten klar, dass kein Routinefall vorlag. Da aber Tanjas Aufenthaltsort nebulös blieb, wurde zunächst die Standardmaßnahme eingeleitet – eine »Nahbereichsfahndung«. Alle Streifenwagen des Duisburger Präsidiums erhielten per Funk den Auftrag, »im Rahmen der Streife« nach Tanja Ausschau zu halten. »Mitfahndungsersuchen« wurden an Taxiunternehmen und öffentliche Verkehrsbetriebe gerichtet. Die Beamten des Reviers wurden nach kurzer Lagebesprechung angewiesen, bestimmte Örtlichkeiten in regelmäßigen Abständen anzufahren. Das waren insbesondere die nähere Umgebung der Friesenstraße, die nur
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