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Ich muss Sie küssen, Miss Dove

Titel: Ich muss Sie küssen, Miss Dove
Autoren: Laura Lee
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halten. Sie hob den Kopf, rümpfte die Nase und beäugte die Süßigkeiten voller Verachtung. „Ich esse keine Schokolade", sagte sie und betupfte mit dem Taschentuch ihre geröteten Wangen. „Sie ruiniert einem nur die Figur." Sie bedachte Emma mit einem kritischen Blick. „Obwohl Sie durchaus ein wenig mehr davon essen sollten, chérie, Sie könnten etwas mehr Fülle gut vertragen. Nicht, dass das eine große Rolle spielte", fügte sie sofort hinzu. „Ein älteres Fräulein macht sich schließlich keine Gedanken mehr über seine Figur, n'est-ce pas ?"
    Emma erstarrte. Älteres Fräulein. Das tat weh.
    Diese seltsame, rastlose Unzufriedenheit kehrte zurück, womöglich noch stärker als zuvor, und Emma erkannte, dass ihr bevorstehender Geburtstag der Grund dafür war. Sie schob die Pralinés beiseite und versuchte, das Ganze mit philosophischer Gelassenheit anzugehen. Dreißig zu werden war einfach etwas, das passierte. Und zwar jedem. Es war eine Tatsache, an der sich nichts ändern ließ. Zugegeben, dreißig klang ziemlich ... alt, aber es war trotzdem nur ein Geburtstag. Nichts, wovon man schwermütig werden sollte.
    Was ihre Figur betraf, so war diese sicher nicht der Grund dafür, dass Emma nicht verheiratet war. Sie warf einen aufgebrachten Blick auf Miss Bordeaux' üppigen Busen und sagte sich, dass ihr die Meinung einer französischen Cancantänzerin völlig gleichgültig sein konnte.
    „Sie sind also Miss Dove." Die Französin musterte sie mit schon fast unverschämter Gründlichkeit. „Seine Sekretärin."
    Sie sprach diese Worte auf eine Art, die Emma sofort wachsam werden ließ. Sie machte sich auf weitere gedankenlose, grausame Bemerkungen gefasst und erwiderte: „Ja, ich bin Miss Dove."
    Die Tänzerin lachte, aber ohne Humor, wie Emma fand. „Marlowe hat also eine Sekretärin. Das sieht ihm ähnlich. Sagen Sie, hält er Sie in einer Wohnung oder in einem Haus?"
    Emma schäumte vor Wut. Das war nicht das erste Mal, dass andere ihren Charakter anzweifelten. Sie arbeitete für einen Mann in einem Männerberuf, und der Ruf ihres Arbeitgebers in Bezug auf Frauen war berüchtigt. Deswegen brauchte sie sich aber noch lange nicht schändliche Rückschlüsse auf ihre Tugendhaftigkeit gefallen zu lassen. „Sie irren. Ich bin nicht ..."
    „Das spielt doch keine Rolle", winkte Miss Bordeaux ab. „Jetzt, da ich Sie gesehen habe, weiß ich, dass von Ihnen keine Bedrohung für mich ausgeht. Marlowe mag keine flachbrüstigen Frauen."
    Emma schnaubte. Sie hätte gern eine bissige Antwort auf diese Unverschämtheit gegeben, aber ihr war klar, wie dumm das gewesen wäre. Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass die Tänzerin und Marlowe sich wieder versöhnten, und Emma konnte es sich nicht leisten, ihre gute Stellung aufs Spiel zu setzen. Obwohl sie sich ärgerte, hielt sie den Mund — wie schon so oft in ihrem Leben.
    Außerdem musste sie sich leicht zerknirscht eingestehen, dass ihr Zorn nicht gerade tugendhafter Art war. Dass die Tänzerin sie für zu alt und zu mager hielt, um die Zuneigung eines Mannes erringen zu können — das war ihr unter die Haut gegangen, nicht die Annahme, sie wäre eine ausgehaltene Frau.
    „Non" , unterbrach die Französin Emmas Gedankengänge. „Ihretwegen hat Marlowe mich nicht verlassen." Sie beugte sich vor, und ihre dunklen Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wer ist sie?"
    Emma unterdrückte den etwas kleinlichen Wunsch, schnell eine flachbrüstige neue Geliebte für ihren Arbeitgeber zu erfinden. Stattdessen sagte sie förmlich: „Das ist allein die Angelegenheit Seiner Lordschaft, nicht meine, Mademoiselle ."
    „Macht nichts, ich finde ohnehin bald heraus, wer sie ist." Miss Bordeaux legte das feuchte Taschentuch zur Seite, und auf ihr tränenüberströmtes Gesicht trat ein so harter Ausdruck, dass sie plötzlich viel älter aussah — mindestens zehn Jahre, wie Emma fand. Nicht, dass sie sich je dazu herablassen würde, gehässig zu sein.
    „Miss Dove", fuhr die Tänzerin fort. „Da Sie Lord Marlowes Sekretärin sind, können Sie ihm eine Nachricht von mir übermitteln." Sie öffnete ihr Retikül und zog ein herrliches Collier aus gelben Topasen mit in Gold gefassten Diamanten hervor. „Sagen Sie ihm, dieses erbärmliche Nichts von einer Kette sei eine unerträgliche Beleidigung, die ich nicht hinnehmen werde! Verächtlich warf sie den Schmuck auf den Schreibtisch. „Mit einem so schäbigen Ding kann er sich nicht freikaufen!"
    Emma hatte in der
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