"ich lerne: gläser + tassen spülen": Briefe 1923?1956 (German Edition)

Brand des Berliner Reichstages, aus Deutschland. Brecht und Weigel reisen über Prag nach Wien, wo Weigel mit den auf anderen Wegen aus Deutschland geschleusten Kindern bei ihrem Vater und ihrer Schwester Stella unterkommt, während Brecht in der Schweiz nach einem geeigneten Exilort sucht.

58  Ende März 1933; A: Lugano, E: Wien, hs. (Privatbesitz)
    Liebe Helli,
    in Zürich, in aller Frühe, lese ich in der Zeitung, daß Döblin nachmittags irgendwo Bücher signiert. Ich rufe ihn an. Da fragt aus dem Zimmer nebenan eine Stimme: Ist das denn Brecht? Ich sage: Nur eventuell. Da ist es Kläber Kurt. 1 Sie fahren nach Lugano vormittags, haben da ein Haus am See. Ich traf noch Döblin und die Seghers mit Mann. 2 Wir beschlossen, für alle was am Luganer See zu suchen. Kläbers wollen es in die Hand nehmen. Es soll sehr billig sein. Heute gehe ich hin (ich fuhr abends nach Lugano). Feuchtwanger kommt morgen her. Bitte schreib Lugano postlagernd, das Hotel ist zu teuer, ich ziehe raschmöglichst um – vielleicht zu Kläber. Aber das ist etwas weg von Lugano, wo Feuchtwanger sein will, in Carona. Schreib gleich! Was ist mit Barbara? Ich hoffe in 2-3 Tagen was zu haben. Jedes Übernachten im Hotel usw. ist furchtbar teuer. Ihr müßt gleich in was Festes kommen! Und kaufen kann man hier auch nichts. Also lieber alles aus Berlin kommen lassen!
    Und bring Steff mit!
    Ich küsse Dich
    b
 
    Ratz soll Dir aus Eislers Mappe: den »Unbekannten Soldaten unter dem Triumphbogen« geben und den »§ 218«. Das gibst Du dann an die »Arbeiterzeitung« (Braunthal). 3 Weil das Geld gibt!
 
    1
 
Der Erzähler und Lyriker Kurt Kläber und seine Frau, die Schriftstellerin Lisa Tetzner.
2
 
Anna Seghers und ihr Ehemann Johann Lorenz Schmidt, der vor der Emigration die Marxistische Arbeiterschule ( MASCH ) in Berlin geleitet hat.
3
 
Der Musikforscher Erwin Ratz ist ein Mitschüler Hanns Eislers, der das Gedicht vom Unbekannten Soldaten unter dem Triumphbogen und die Ballade zu Paragraph 218 vertont hat. In der Wiener Arbeiter-Zeitung , zu deren Redaktion Julius Braunthal gehört, erscheinen die Gedichte nicht.

59  Ende März/Anfang April 1933, A: Lugano, E: Wien, Preisübersicht masch., Brief hs. (Privatbesitz)
    Miete für 4 Zimmer in Carona oder überhaupt oberhalb des Sees (nach Lugano tgl. 3mal Postauto, hin und zurück Fr. 3)
    50-100 Franken
     
    Fleisch
 
Butter
Pfund 2,20-2,40
Öl
billiger wie in Deutschland
Zucker
Pf. 20 Centimes
Brot
wie Deutschland
Kaffee
Pf. 2,20
Tee
100 Gramm 45 Centimes
Reis
Pf. 25 Centimes
Käse
100 Gramm 45 ct.
Kakao
100 Gramm 35 ct.
Spaghetti
Pf. 50 ct.
Gemüse
sehr billig 1
 
    Ei
 
    15-20 ct.
     
    Liebe Helli,
    ich war heute bei Kläber. Die Wohnung wäre wunderbar, aber sehr entfernt von Lugano, also der Stadt, sehr einsam. Immer 1 / 2 Stunde Postauto und das ist teuer und abends geht keines zurück. Mit Auto herrlich, ohne schwer.
    In Lugano ist eine sehr gute Schule, deutsch, freireligiös; aber da könnte Steff nur hin, wenn wir unten wohnen. Morgen suche ich unten weiter.
    Ich bin schon erholt. Wie geht es? In 2-3 Tagen hoffe ich was zu haben. Adresse: Hotel Bellerive, Lugano.
    Ich küsse Dich
    b
 
    1
 
»sehr billig«: handschriftlicher Zusatz auf der maschinenschriftlichen Übersicht.

60  Ende März/Anfang April 1933; A: Lugano, E: Wien, masch. mit hs. Postskriptum (Privatbesitz)
    Liebe Helli,
    ich bin ziemlich viel herumgelaufen. Aber als das beste scheint mir jetzt, Du kommst mit den Kindern eben doch selber her, evtl. mit Steff voraus. Ein paar Tage kann man hier irgendwo billig unterkommen und da zeige ich Dir, was ich ausfindig gemacht habe. Ohne Dich für lang was mieten hat keinen Sinn. Natürlich wüßte ich gern, wie es am Züricher See ist: dort ist Döblin und Seghers und eine deutsche Stadt. Billiger allerdings als ein paar Tage Zürich mit Familie ohne Wohnung ist, wie mir scheint, Lugano doch und man kann nachher von hier aus einmal hin. Jetzt ist es ja hier viel wärmer und schöner. Bettwäsche sollte man dabei haben . Hat mein Vater schon Geld geschickt? In Zürich möchte Dich die Seghers sehen. Wenn wenigstens die noch herkämen! Der Schmidt ist kein Marx, aber immerhin …
    Bei Kläbers in der Nähe in Carona ist Wohnen sehr schön und sehr billig, aber das ist nur 3mal täglich mit Autobusziemlich teuer erreichbar, letzter abends 6 Uhr. Mit Auto wunderbar. (Vielleicht bringt Brentano das seine, aber auf den soll man sich nicht verlassen!) Ich wäre jetzt froh,