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Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)

Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)

Titel: Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
Autoren: Ali Knight
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Dunkeln umherzutasten. Hier ist sie nicht. Meine Ava ist nicht hier.
    Ich suche das gesamte Erdgeschoss ab; mein Rücken ist inzwischen völlig durchnässt, ich sehe wieder nur verschwommen. Am Ende gehe ich zur Hintertür. Nein, über den Rasen hätte sie sie nicht getragen, das hätte sie nicht riskiert, wir haben zu viele Nachbarn, die sie dabei hätten beobachten können. An der frischen Luft fühle ich mich besser; ich kann wieder klarer denken. Ein vierjähriges Mädchen ist so klein. Sie kann sie in einen Teppich eingerollt oder in eine Kiste gesperrt haben. Ich schleppe mich über den Rasen, in Wellen steigt Übelkeit in mir hoch. Im Spielhaus liegen nur welke Blätter, im Schuppen riecht es nach gemähtem Gras und Holzschutzlasur, hier war seit Tagen niemand drin, die Türen des Bootes sind zu. Wieder rufe ich Avas Namen, dann gehe ich am Boot entlang zur anderen Seite – und dort sehe ich meinen blassblauen Kunststoffkoffer, der normalerweise oben auf meinem Kleiderschrank liegt, auf dem Kanal schwimmen. Ich habe ihn mir für unsere Hochzeitsreise gekauft. Ava würde da gerade hineinpassen. Mein Herz rutscht angesichts der schrecklichen Bedrohung ins Bodenlose. Ava ist in dem Koffer.
    Ich komme da nicht heran. Das Ruderboot liegt am anderen Ufer, wo ich selbst es hingerudert und in einem Anfall sinnloser Wut das Seil gekappt habe, das meiner Tochter jetzt das Leben retten könnte. Ich kann nicht reinspringen und sie retten, aber ich kann auch nicht weglaufen, um Hilfe zu holen. Es könnte ein Boot vorbeikommen, dadurch könnte der Koffer umkippen. Sie würde darin strampeln und sinken. Ich schreie. In blinder Angst rufe ich nach Paul und nach Josh. Sie ist so nahe und doch so weit weg. Aus meinem Schreien wird Wimmern, ich ringe um Fassung, beruhige mich ein wenig. Ich laufe zurück in den Schuppen und hole die Harke, aber selbst damit komme ich nicht an den Koffer heran. Fluchend gebe ich auf – und dann fällt mein Blick auf den Gummiring, der außen an der Bordwand hängt. Natürlich! Ich überlege nicht lange, in meinem Kopf herrscht ein Chaos, das logisches Denken ohnehin nicht zulässt. Hastig ziehe ich die Jacke aus, lasse mich an der Bordwand der Marie Rose herunter und blicke nach vorn. Es ist weit, aber das nützt nichts, ich muss mich abstoßen und mich an dem Gummiring festhalten. Ich bete, dass die Wasserbewegung den Koffer nicht zum Kentern bringt.
    Das Wasser ist eisig. Meiner Kleinen wird kalt sein dort drinnen, schrecklich kalt. Endlich erreiche ich den Koffer, ziehe ihn am Griff zu mir heran. Meine Hände sind taub, nur mit Mühe kriege ich die Schlösser auf. Der Deckel springt auf, und durch den schmalen Spalt schauen Avas dunkle, mandelförmige Augen zu mir heraus, die Augen ihres Vaters. Ich klappe den Deckel dieses pervertierten Moses-Korbes zurück, und er fängt an zu sinken. Ava treibt mir im Wasser entgegen, die Augen weit aufgerissen, die Brauen wie Gedankenstriche auf ihrer Stirn. Ihr Mund ist genauso zugeklebt wie Pauls vorhin, und erst jetzt sehe ich, dass ihr die Hände vor dem Bauch zusammengebunden sind. Sie strampelt wild, Panik steht ihr in das stumme Gesicht geschrieben. Ich lege ihr einen Arm um die Taille und halte sie fest, mit dem anderen Arm umklammere ich den Gummiring. Dass es so schwer sein würde, sie an der Oberfläche zu halten, habe ich nicht vorhergesehen. Mehrmals gerate ich beim Strampeln und Paddeln selbst mit dem Kopf unter Wasser. »Leg die Hände auf den Ring!« Spuckend strample ich weiter in Richtung Ufer. Zentimeter um Zentimeter kommen wir voran, meine Bewegungen werden immer langsamer. Immerhin lässt der grelle Schmerz im Brustkorb etwas nach. Das Wasser ist so kalt, ich komme mir vor wie ein Motor, der bei zu niedrigem Ölstand ins Stottern gerät; bald wird alles zum Erliegen kommen. Ava bewegt sich kaum noch, sträubt sich kein bisschen. Sie ist ernsthaft in Gefahr, hier in meinen Armen an dem Schock und der Unterkühlung zu sterben.
    Zurück aufs Boot schaffe ich es nicht; die Bordwand ragt über mir auf wie ein Berg. Also halte ich mich weiter in Richtung Ufer. Schreien, jemanden herbeirufen kann ich nicht mehr, selbst dazu fehlt mir die Kraft. Jetzt bewegt Ava sich überhaupt nicht mehr, ihr Kopf sackt nach vorn, ins Wasser, ihre gefesselten Hände rutschen Stück für Stück vom Gummiring herunter. »Nein!« Ich versuche sie zu drehen, so dass ihr Gesicht nach oben kommt, es ist ein schier endloser Kampf. Ich weiß nicht, ob ich das
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