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Ich habe mich verträumt

Ich habe mich verträumt

Titel: Ich habe mich verträumt
Autoren: Kristan Higgins
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abschießen und in wonniger Pein zu Boden sinken. Obwohl in Connecticut kaum irgendwelche Bürgerkriegsschlachten stattgefunden hatten (leider!), ignorieren wir Fanatiker von Brother Against Brother diese unbedeutende Tatsache geflissentlich. Unser Terminkalender beginnt Anfang des Frühjahrs, wenn wir ein paar Schlachten ortsfern nachstellen, danach geht es zu den Schauplätzen echter Schlachten in den Süden, wo wir uns mit anderen Nachspielgruppen treffen und unserer Leidenschaft frönen. Sie würden sich wundern, wie viele es von uns gibt!
    „Dein Vater und diese idiotischen Schlachten“, murmelte Mom und rückte Mémés Kragen zurecht. Mémé war entweder eingeschlafen oder gestorben … ach, nein, ihre knochige Brust hob und senkte sich noch. „Ich sehe mir so etwas natürlich nicht an. Ich muss mich auf meine Kunst konzentrieren. Ihr kommt doch zur Ausstellung am Wochenende, oder?“
    Margaret und ich tauschten einen Blick und gaben unverbindliche Laute von uns. Moms Kunst war ein Thema, das man besser mied.
    „Grace!“, bellte Mémé nach ihrem plötzlichen Erwachen. „Geh nach vorn! Kitty wirft ihren Brautstrauß. Geh! Nun geh schon!“ Sie drehte ihren Rollstuhl herum und fing an, ihn gegen meine Schienbeine zu rammen – etwa so rücksichtslos, wie Ramses den fliehenden israelischen Sklaven nachgestellt hatte.
    „Mémé! Bitte! Du tust mir weh!“ Ich wich zurück, doch das hielt sie nicht auf.
    „Geh schon! Du brauchst jede Hilfe, die du kriegen kannst, Kind!“
    Mom verdrehte die Augen. „Lass sie in Ruhe, Eleanor. Siehst du nicht, dass sie schon genug leidet? Grace, Schätzchen, du musst da nicht hingehen, wenn es dich traurig macht. Alle werden das verstehen.“
    „Es ist okay“, sagte ich laut und strich mit der Hand über mein wildes Haar, das sich aus den Haarklammern gelöst hatte. „Ich werde gehen.“ Denn wenn ich es nicht täte, würde es verdammt noch mal schlimmer werden. Arme Grace, sieh sie nur an, sitzt da wie ein überfahrenes Opossum am Straßenrand, kann noch nicht einmal aufstehen . Außerdem hinterließ Mémés Rollstuhl allmählich Spuren auf meinem Kleid.
    Und so schritt ich mit etwa derselben Begeisterung wie Anne Boleyn auf dem Weg zum Schafott zur Tanzfläche. Ich versuchte, mich möglichst unauffällig unter die anderen Frauen zu mischen, und stellte mich ganz hinten auf, wo ich kaum eine Chance haben würde, den Brautstrauß zu fangen. Über die Stereoanlage dröhnte Cat Scratch Fever – erstklassiger Metalrock –, und ich musste grinsen.
    Dann entdeckte ich Andrew. Er sah mich direkt an, schuldbewusst wie die Sünde. Seine Freundin war nirgends zu erblicken. Mein Herz machte einen Satz.
    Natürlich hatte ich gewusst, dass er hier war. Es war sogar meine Idee gewesen, ihn einzuladen. Aber ihn zu sehen, noch dazu in dem Wissen, dass er heute mit Natalie seinen ersten offiziellen Auftritt als Paar hatte, verursachte mir feuchte Hände und einen Eisklumpen im Bauch. Andrew Carson war immerhin der Mann gewesen, den ich hatte heiraten wollen. DerMann, mit dem ich bis drei Wochen vor dem geplanten Hochzeitstermin zusammen gewesen war. Der Mann, der mich verlassen hatte, weil er sich in eine andere verliebt hatte.
    Auf die zweite Hochzeit meiner Cousine Kitty vor ein paar Jahren hatte Andrew mich begleitet. Wir waren damals schon eine Weile zusammen gewesen, und als der Brautstrauß geworfen wurde, war ich mehr oder weniger glücklich hingegangen, hatte verlegen getan, aber gleichzeitig in meinem Status als liierte Frau geschwelgt. Ich hatte den Strauß nicht gefangen, und Andrew hatte mir den Arm um die Schultern gelegt und gesagt: „Ich finde, du hättest dich schon ein bisschen mehr anstrengen können.“ Ich wusste noch genau, was für ein aufgeregtes Kribbeln ich bei seinen Worten empfunden hatte.
    Jetzt war er mit seiner neuen Freundin hier. Natalie mit den langen, glatten, blonden Haaren. Natalie mit den ewig langen Beinen. Natalie, die Architektin.
    Natalie, meine geliebte jüngere Schwester, die sich heute verständlicherweise sehr bedeckt hielt.
    Kitty warf das Bouquet. Ihre Schwester, meine Cousine Anne, fing es auf, was zweifellos gut abgesprochen und geprobt worden war. Die Zeit der Folter war vorbei. Aber nein, Kitty hatte mich entdeckt, raffte ihre Röcke und eilte zu mir. „Du wirst auch bald an die Reihe kommen, Grace“, verkündete sie laut. „Geht es dir gut?“
    „Sicher“, erwiderte ich. „Ich komme mir vor wie bei einem Déjà-vu! Schon
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