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Ich habe mich verträumt

Ich habe mich verträumt

Titel: Ich habe mich verträumt
Autoren: Kristan Higgins
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Gruß zwei Finger an die Stirn. Weiter vorn standen Cousine Kitty und Tante Mavis, die mir mit aufgesetztem Mitgefühl zulächelten, als ich vorbeiging. Ich widerstand dem Drang, ihnen den Finger zu zeigen (Mayflower-Abstammung hin oder her, aber schließlich befanden wir uns in einer Kirche), und blickte stattdessen nach vorn, wo ich zum ersten Mal an diesem Tag dem Bräutigam ins Gesicht sah.
    Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Schob die Brille nach oben. Hustete in die Faust. Sah mich nicht an. Biss sich auf die Lippe.
    O-oh! Er sah ganz und gar nicht aus wie ein Mann, für den sich in wenigen Minuten der schönste Lebenstraum erfüllen würde! Eher schien ihm das Ganze unangenehm. Das war nicht gut!
    Ich warf Andrew einen fragenden Blick zu, doch er vermied es weiterhin, mich anzusehen. Stattdessen irrte sein Blick durch die Kirche und wanderte unstet von Gast zu Gast wie eine Fliege, die in ihrem Fluchtinstinkt unablässig gegen eine Fensterscheibe prallt.
    Ich hob meinen Rock an, stieg die Stufen zum Altar hinauf und machte Margaret Platz. „Wir haben ein Problem“, flüsterte ich.
    „Was redest du? Sieh sie doch an!“, flüsterte sie zurück.
    Ich musterte Natalie, die wunderhübsch und strahlend an Dads Arm auf uns zukam. Dad wirkte stolz und würdevollund nickte einigen Gästen zu, während er seine jüngste Tochter zu der pompösen Musik zum Altar führte. „Aber sieh dir mal Andrew an!“, raunte ich Margaret zu.
    Margaret tat es. „Ach, der ist nervös“, murmelte sie. Doch ich kannte Andrew besser.
    Nattie hatte den Altar erreicht. Dad küsste sie auf die Wange, schüttelte Andrew die Hand und setzte sich dann neben Mom, die ihm liebevoll den Arm streichelte. Andrew und Nattie drehten sich zum Priester. Nat strahlte. Andrew … weniger.
    „Liebe Gemeinde, wir sind hier versammelt“, begann Reverend Miggs.
    „Warten Sie. Es tut mir leid“, unterbrach Andrew mit schwacher, zitternder Stimme.
    „Heilige Muttergottes“, stöhnte Margaret. „Wage es ja nicht, Andrew.“
    „Liebling?“, fragte Nat beunruhigt. „Alles in Ordnung?“ Mir krampfte sich der Magen zusammen, mein Atem stockte. Oh Gott …
    Andrew wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Nattie … es tut mir leid.“
    Ein Raunen ging durch die Menge. Reverend Miggs legte Andrew eine Hand auf den Arm. „Nun, mein Sohn“, begann er.
    „Was ist los?“, flüsterte Natalie. Margaret und ich traten gleichzeitig rechts und links neben sie, wie um sie vor allem, was da kommen mochte, zu schützen.
    „Es ist Grace“, hauchte er fast tonlos. „Es tut mir leid, aber ich habe immer noch Gefühle für Grace. Ich kann dich nicht heiraten, Nat.“
    Die Menge stöhnte kollektiv auf.
    „Was soll denn der Scheiß?“, bellte Margaret, doch ich nahm sie kaum wahr. Ich hörte weißes Rauschen im Ohr und sah, wie meiner kleinen Schwester alles Blut aus dem Gesicht wich. Sie schwankte. Margaret und der Priester stützten sie.
    Ich ließ meinen Blumenstrauß fallen, schob mich an Margaret vorbei und schlug Andrew mit aller Wucht mitten ins Gesicht.
    Die nächsten Minuten waren irgendwie verschwommen.Ich weiß noch, dass Andrews Trauzeuge versuchte, ihn wegzuziehen (mein Schlag hatte ihn zu Fall gebracht), während ich meinem Exverlobten und Beinaheschwager wiederholt mit meinen spitzen Schuhen gegen die Schienbeine trat. Seine Nase blutete, was ihm sehr gut stand, wie ich fand. Als Nächstes erinnere ich mich, dass meine Mutter mich unterstützte, indem sie Andrew mit der Handtasche auf den Kopf schlug. Vielleicht versuchte sie sogar, seine Leber herauszureißen, um sie zu braten, aber solcherlei Details sind unklar. Außerdem hörte ich Mrs Carson schreien. Spürte, wie Dad mich um die Taille fasste, um mich von Andrew wegzuziehen, der halb auf den Altarstufen lag und versuchte, vor meinen Tritten und Moms wenig effektiven, aber höchst befriedigenden Schlägen wegzukriechen.
    Am Ende verzogen sich die Gäste des Bräutigams aus der Kirche, während die Carsons, der Trauzeuge und Andrew selbst, ein Taschentuch aufs Gesicht gepresst, sich auf einer Seite zusammenkauerten. Natalie saß fassungslos in der ersten Reihe, umringt von Margaret, mir, Mom und Dad, während Mémé wie ein altersschwacher Collie im Rollstuhl die Leute aus der Kirche scheuchte.
    „Braut ohne Bräutigam“, murmelte Natalie tonlos.
    Ich kniete mich vor sie hin. „Ach, Süße! Was können wir tun?“ Eine Minute lang sahen wir uns nur an. Dann nahm ich ihre
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