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Ich hab dich im Gefühl

Ich hab dich im Gefühl

Titel: Ich hab dich im Gefühl
Autoren: Cecelia Ahern
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fange an, die Schränke aufzureißen, ich schaue unter seinem Bett nach. Ich packe ein Kissen und drücke es an mich, atme seinen Duft ein und durchnässe es mit meinen Tränen. Durch das Fenster spähe ich in den Garten hinaus – keine Spur von ihm.
    Meine Knie wollen mich nicht mehr tragen, mein Kopf ist völlig umnebelt, ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Schließlich lasse ich mich auf die oberste Stufe am Treppenabsatz sinken und versuche mir vorzustellen, wo er sein könnte.
    Dann fallen mir die auf dem Boden verstreuten Pillen ein, und ich schreie so laut, wie ich noch nie in meinem ganzen Leben geschrien habe: » DAAAAAAD !«
    Schweigen antwortet mir, und ich habe mich noch nie so allein gefühlt. Noch einsamer als in der Oper, einsamer als in meiner unglücklichen Ehe, einsamer als bei Mums Tod. Vollständig und absolut allein, denn der letzte Mensch, den ich in meinem Leben habe, ist mir genommen worden.
    »Joyce?«, ruft eine Stimme von der Haustür, die ich offen gelassen habe. »Joyce, ich bin’s, Fran.« Da steht sie in Bademantel und Hausschlappen, und hinter ihr leuchtet ihr ältester Sohn mit einer Taschenlampe herum.
    »Dad ist weg«, erkläre ich mit zitternder Stimme.
    »Er ist im Krankenhaus, ich habe versucht, dich anzuru…«
    »Was? Warum?« Ich springe auf und renne die Treppe hinunter.
    »Er dachte, er hätte wieder einen Herz…«
    »Ich muss los! Ich muss zu ihm!« Verzweifelt suche ich meinen Autoschlüssel. »In welchem Krankenhaus ist er denn?«
    »Ganz ruhig, Joyce, Liebes, entspann dich.« Fran schlingt die Arme um mich. »Ich fahre dich hin.«

Vierzig
    Ich renne die Korridore entlang, inspiziere jede Tür auf der Suche nach dem richtigen Zimmer. Wieder ergreift mich die Panik, Tränen verschleiern mir den Blick. Eine Schwester hält mich an und hilft mir, versucht mich zu beruhigen. Zum Glück weiß sie sofort, wen ich suche. Eigentlich gibt es um diese Zeit keinen Besuch mehr, aber sie merkt, dass ich völlig am Ende bin, und möchte mich aufmuntern, indem sie mir zeigt, dass mit Dad alles so weit in Ordnung ist. Ein paar Minuten darf ich zu ihm.
    Ich folge ihr durch eine Reihe von Korridoren, und schließlich führt sie mich in sein Zimmer. Ich sehe Dad im Bett liegen, Schläuche an Handgelenken und Nase, die Haut leichenblass, ein winziger Körper unter dem weißen Laken.
    »Warst du das, die den ganzen Lärm da draußen veranstaltet hat?«, fragt er mit schwacher Stimme.
    »Dad«, sage ich nur, und obwohl ich alles daransetze, ruhig zu wirken, kommt meine Stimme halb erstickt heraus.
    »Schon in Ordnung, Liebes. Ich hab bloß einen Schock, weiter nichts. Ich dachte, mein Herz macht wieder Faxen, und wollte meine Pillen nehmen, aber da ist mir schwindlig geworden, und sie sind alle runtergefallen. Hat irgendwas mit dem Zucker zu tun, meinen die Leute hier.«
    »Diabetes, Henry«, erklärt die Schwester mit einem Lächeln. »Der Arzt kommt morgen früh vorbei und erklärt Ihnen alles Weitere.«
    Ich schniefe und reiße mich zusammen.
    »Ach, komm schon, du alberne Pute«, schimpft er mich freundlich und streckt die Arme nach mir aus.
    Ich laufe zu ihm und umarme ihn fest, und sein Körper fühlt sich zwar zerbrechlich an, ist aber trotzdem ein Schutz.
    »Ich lass dich doch jetzt nicht allein. Ganz ruhig, alles wird gut.« Er streicht sanft über meine Haare und klopft mir beruhigend auf den Rücken. »Hoffentlich hab ich dir nicht den Abend verdorben. Ich hab Fran ausdrücklich gesagt, sie soll dich in Ruhe lassen.«
    »Du hättest mich unbedingt anrufen sollen«, sage ich in seine Schulter. »Ich bin so erschrocken, als du nicht zu Hause warst.«
    »Na ja, jetzt ist alles in Ordnung. Aber du musst mir helfen mit dem Zeug«, flüstert er. »Ich hab dem Arzt gesagt, dass ich alles verstanden habe, aber das stimmt nicht ganz«, meint er etwas besorgt. »Er ist ein ziemlich hochnäsiger Kerl«, fügt er naserümpfend hinzu.
    »Natürlich helfe ich dir«, versichere ich ihm, wische mir die Augen und versuche mich zu fassen.
    »Und wie ist es gelaufen?«, fragt er etwas munterer. »Erzähl mir alle guten Neuigkeiten.«
    »Er ist … äh …«, ich breche ab und verziehe schmerzlich den Mund. »Er ist nicht gekommen.« Schon wieder melden sich die Tränen.
    Dad schweigt, erst traurig, dann wütend, dann wieder traurig. Schließlich nimmt er mich erneut in den Arm, noch fester diesmal.
    »Ach, Liebes«, sagt er leise. »Der Kerl ist ein Trottel.«

Einundvierzig
    Justin
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