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Ich, Gina Wild

Ich, Gina Wild

Titel: Ich, Gina Wild
Autoren: Michaela Schaffrath
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enttäuschen.
    Deshalb liebe ich meine Autogrammstunden so sehr. Ich genieße sie, weil ich sehe, wie viele Menschen in meiner Nähe sein wollen, nur um ein persönliches Andenken von mir mit nach Hause zu nehmen. Ich weiß, dass für viele Fans, die regelmäßig zu mir kommen, jedes Mal ein kleiner Traum in Erfüllung geht. Die Männer und manchmal auch Frauen kommen extra meinetwegen angereist. Sie nehmen gelegentlich stundenlanges Warten in Kauf. Das ist eine Verehrung, die mich glücklich macht. Für die nehme ich mir dann auch gerne Zeit und rede ein bisschen mit ihnen.
    Solche Autogrammstunden dauern dann oft bis spät in die Nacht. Ich glaube allerdings nicht, dass es Liebe ist, die diese Menschen in meine Nähe zieht. Es ist eher ein Anhimmeln aus sicherer Distanz.
    Natürlich wird es auch den einen oder anderen geben, den es erwischt hat und der mich wirklich liebt. Gerade unter den Männern, die in meinem Fanclub sind und zu denen ich regelmäßig Kontakt habe, könnte schon mal einer sein, der in großer Liebe zu mir entflammt ist. Dem das Herz in die Hose rutscht, wenn ich ihn in die Arme nehme. Das merke ich, wenn die sich an mich pressen, und ich spüre, wie das Herz heftig zu schlagen beginnt und ihre Hände zittern.
    Das ist eine sehr ernste Angelegenheit. Damit sollte man nicht spielen. Ich freue mich wirklich, dass sie gekommen sind. Nie im Leben würde ich mich über einen dieser Männer lustig machen oder ihn bloßstellen gegenüber den anderen. Das wäre sehr unfair.
    Ich hatte eine schöne Kindheit und habe sehr viel Liebe von meinen Eltern bekommen. Anfangs haben wir in Nothberg bei Eschweiler gelebt. Ein kleines Dörfchen mit Marktplatz und Kirche, wo gelegentlich eine Kirmes stattfand. Ich habe einen Bruder, der eineinhalb Jahre älter ist als ich.
    Wir haben öfters die Wohnung gewechselt, sind aber immer in derselben Gegend geblieben. Später sind wir in den Ortsteil Pumpe-Stich gezogen, ins Haus, das wir von meiner Großmutter väterlicherseits geerbt haben, nachdem sie gestorben war. Dort bin ich von meinem 10. Lebensjahr an aufgewachsen. Das Grundstück liegt direkt am Wald, und wir haben einen Grossteil unserer Zeit draußen verbracht.
    Damals wohnten meine Eltern dem Geschmack der Zeit entsprechend. Es gab viel dunkles Holz, Teppichboden mit Läufern darüber, Mustertapeten. Vor den Fenstern waren Spitzengardinen, eingerahmt von schweren Vorhängen mit dicken Schabracken. An den Wänden hingen viele Familienfotos und Landschaftsbilder.
    Eigentlich bin ich wie ein Junge groß geworden. Mit den Freunden meines Bruders haben wir oft Fußball gespielt. Das war eine tolle Clique. Im Wald waren wir Räuber und Gendarm, und im Winter sind wir gerodelt.
    Es gab schon Computer. Einige in unserer Klasse hatten einen Atari und verbrachten viele Stunden am Tag davor. Aber so etwas hat uns nicht interessiert. Am Abend spielten wir mit den Eltern »Mensch ärgere dich nicht« oder Karten. Es hat mir nichts ausgemacht, wenn ich verloren habe. Ich war einfach nur glücklich, wenn wir alle zusammen waren.
    Die meiste Zeit haben wir im Wohnzimmer verbracht, wenn schönes Wetter war, auf der Terrasse. Unser Garten ist groß, und meine Eltern lieben es heute noch, dort aufwändige Familienfeste zu feiern.
    Manchmal haben wir für Verwandte und Freunde ein Spanferkel gebraten. Das war ein Akt, der das ganze Wochenende in Anspruch nahm. Am Freitag wurde das Schwein zurechtgemacht und aufgespießt wie in einem altertümlichen Ritual und dann mit Salz und Gewürzen eingerieben. Für uns Kinder war das ein abstoßender, aber auch faszinierender Anblick. Zum Festschmaus kamen bis zu vierzig Leute. Unsere Familie ist sehr groß. Mein Vater hat drei, meine Mutter vier Geschwister, und die Nachbarn waren auch eingeladen. Alle Familienfeste wie Geburtstage, Namenstage und hohe Feiertage wurden so gefeiert. Man traf sich am Nachmittag zum Kaffee, schwätzte, dann gab es ein schönes Abendessen, und nachher ging es bis spät in die Nacht weiter.
    Als Teenager fanden wir es natürlich nicht mehr so toll, wenn wir brav bei der Familie sitzen mussten, während die anderen um die Häuser zogen. Aber auf diese Geselligkeit legten meine Eltern sehr viel Wert. Ich fügte mich im Großen und Ganzen in diese geordnete Welt wie es von uns erwartet wurde. Aber gelegentlich wollte ich oft meinen eigenen Kopf durchsetzen. Dann war ich sehr stur. So sehr, dass meine Eltern es mit der Angst zu tun bekamen. Kinder sind gute
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