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Ich, Gina Wild

Ich, Gina Wild

Titel: Ich, Gina Wild
Autoren: Michaela Schaffrath
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ich einen interessanten Artikel entdecke oder im Fernsehen eine Sendung darüber läuft.
    Es ist wohl etwas weit hergeholt, wenn man jetzt einen Zusammenhang zwischen dieser frühen Leidenschaft und meiner späteren Laufbahn zieht, aber vielleicht ist auch was dran.
    Ich habe mich im Krankenhaus nie vor einem Körper geekelt, genauso wenig wie beim Pornodreh. Ganz im Gegenteil. Es gibt ja die Vorstellung, Pornos zu drehen, sei eine unappetitliche Sache mit all den Körpersäften. Aber für mich ist das erstens natürlich und zweitens etwas Wunderschönes, wenn man Sex hat.
    Leider ist der Großteil der Pornofilme ungerecht. Darum ist es absolut kein Wunder, dass nur so wenige Frauen Pornos gucken. Es gibt Elemente, die Frauen nicht gefallen. Insbesondere die Auswahl an männlichen Darstellern lässt zu wünschen übrig. Ich konnte mir glücklicherweise immer die Jungs aussuchen, mit denen ich drehte. Aber irgendwann wird auch der netteste Kerl langweilig.
    Es ist immer ein kleiner Kreis von Darstellern, mit denen die Produktion gerne zusammenarbeitet und die der Regisseur kennt. Mit denen wird regelmäßig gedreht. Deswegen gleichen sich die Filme auch so oft. Es gehören eindeutig mehr Männer in die Pornoindustrie. Ich sehe immer nur dieselben Gesichter.
    Ich war ein durchschnittlicher Teenager, bewunderte Michael Jackson, weil er genial tanzen konnte. Ich hörte zu Hause die Platten von Abba. Wenn ich alleine war, drehte ich die Lautstärke voll auf und sang mit. Natürlich wünschte ich mir, Schauspielerin zu werden. Welches Mädchen tut das nicht?
    Mit meinem Körper kam ich immer noch nicht klar. Ich war pummelig, das stand fest. Meine Kleidergröße war 40. Und das in einem Alter, wo das Äußere das alles entscheidendes Kriterium ist. Ich sah die anderen schlanken Mädchen. Ich sah, wie sie in der Schuldisko abrockten, und ich konnte mich nicht mal vernünftig bewegen. So habe ich aus Frust weitergemampft, habe die Köstlichkeiten, die es bei uns zu Hause gab, in mich reingestopft, mich auf mein Bettchen unter dem Dach geworfen und geheult.
    Wenn wir uns für die Disko zurechtmachten, sah Michi immer besser aus. Und dann stand sie im Mittelpunkt. Aber übel genommen habe ich ihr das nicht. Ich konnte sie nicht hassen. Ich hasste mich selbst. Ich hasste mich dafür, dass ich so beschissen aussah.
    Und ich habe Gott dafür gehasst. »Warum bestrafst du mich so?«, habe ich ihn gefragt. »Warum bestrafst du mich so mit dieser Figur?«
    Das habe ich ihn in der Nacht oft gefragt. Ich bin selten in die Kirche gegangen. Aber ich bin ein sehr gläubiger Mensch. Ich glaube fest an Gott.
    Nein, ich bin kein Kirchenmensch. Ich halte nichts davon, regelmäßig in die Kirche zu pilgern und dem Herrn zu huldigen und ihn zu preisen und den Worten zu lauschen, die da runtergeleiert werden und so meinen Glauben zu vollziehen. Ich renne nicht zu Weihnachten und nicht zu Ostern in die Kirche. Diese Pflichtgänge empfinde ich als Heuchelei.
    Ich kann mich an einen Satz erinnern, den Jesus selbst gesagt haben soll: Du findest mich überall. Unter jedem Stein, den du umdrehst, wirst du mich finden.
    Ich habe Gott angefleht, dass er mich rettet. Dass irgendwann etwas mit mir passiert. Ich wünschte mir so sehr, dass ein bisschen Goldstaub für mich abfällt.
    Ich glaube, dass es eine Bestimmung gibt, in der festgeschrieben worden ist, dass ich so aussah wie ich aussah. Und dass ich heute so bin wie ich bin.
    Um an Gott zu denken, braucht man Zeit. Während eines Pornodrehs an Gott zu denken ist unmöglich. Man konzentriert sich auf zu viele Dinge. Man braucht Ruhe. Wenn ich mit Gott spreche, will ich nicht abgelenkt sein. Ich fände es außerdem unhöflich, mal so zwischendurch ein paar Worte an ihn zu richten. Das mache ich meistens Nachts oder wenn ich im Flugzeug sitze.
    Ich denke, mein Beten wurde erhört. Ich spreche nicht nur mit Gott, um ihm meine Wünsche zu äußern, sondern auch um mich zu bedanken. Ich bedanke mich regelmäßig für das, was ich bisher erreicht habe. Ich bedanke mich für den Ehrgeiz, den er mir geschenkt hat und für meine Familie, das wertvollste, das ich habe.
    Aber ich war Gott nicht böse, als er meine Omi zu sich nahm. Omi ist 78 geworden. Sie starb im April dieses Jahres im Krankenhaus von Eschweiler. Sie hat sehr gelitten, und ich gebe zu, dass ich froh war, als es vorüber war. Omi war stark übergewichtig und ist an ihrem dritten Herzinfarkt verstorben. Sie ist am Schluss nur noch dahin
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