Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne
Autoren: Joey Goebel
Vom Netzwerk:
konnte, und vergaß nie die tröstliche Gewissheit, dass die Highschool irgendwann zu Ende sein würde. Das musste man der Highschool lassen: Sie dauerte nicht ewig.
    Kaum hatte ich das riesige Schulgebäude betreten, verspürte ich sofort einen seltsamen Druck, als säße eine fette Krankenschwester auf meinem Kopf. Ich ging unverzüglich in mein Klassenzimmer, wo eine ganz bestimmte Person sein würde, die mir wahrscheinlich die schmutzigen Details – falls es welche gab – von Chloes Aufenthalt in Panama City erzählen konnte.
    Die Lampen strahlten so hell, dass meine müden Augen schmerzten. Ich ging Richtung 200er-Flur. Die Schule war komplett ebenerdig, und die Klassenzimmer gingen von sieben unglaublich langen Korridoren ab. Jeder Korridor war von graubraunem Teppichboden bedeckt und von Spinden gesäumt, die in Dunkelorange oder Minzgrün [25]  gehalten waren – beim Bau der Schule in den 1960er Jahren beliebte Farben, die jedoch inzwischen schäbig aussahen.
    Ich ging schnell. Schüler drängten sich in die Kursräume. Ich hörte Spindtüren knallen, obszöne Rufe und die Räder des Hausmeisterkarrens. Der Hausmeister und ich tauschten ein Kopfnicken aus; er hatte Goldzähne, und man munkelte, er hätte mit mindestens zwei Lehrerinnen geschlafen.
    »Schicke Klamotten«, sagte er.
    »Danke.« Diese Worte fielen immer, wenn wir uns sahen. Ich fragte mich, ob ihm klar war, dass er mich jedes Mal zum selben Outfit beglückwünschte.
    8 . 00   Als ich mein Klassenzimmer betrat, sah ich zuerst Mr.   Runnels – wie üblich über das Lehrerpult gelümmelt, den Kopf in die Hand gestützt, wobei er die Finger über das Gesicht spreizte wie die Beine einer Tarantel, und ein Auge linste durch diese ausgestreckte Kralle. Als ich eintraf, nahm er die Hand kurz weg und musterte mich einen Moment lang aus müden Augen, ehe er sich die Finger wieder vors Gesicht hielt. Ich wusste diese Geste zu schätzen.
    Während ich zu meinem Platz auf der anderen Seite des Zimmers ging, sah ich mich um. Niemand beachtete mich. Was Grüppchenbildung anging, waren wir ein bunter Haufen, in dem sich keiner für jemand anderen zu interessieren schien.
    Ich nahm Platz, glücklicherweise direkt hinter der Person, die ich befragen musste. Sofort fing ich an, die Haut um meinen Daumennagel abzupulen, eine Angewohnheit [26]  von mir. Als es klingelte, drehte sich der nach Eau de Cologne duftende blonde Schönling vor mir um und fragte: »Was geht ab?«
    »Morgen, Tyler.«
    Tyler war ein Preppy, hatte sich aber im Laufe der Jahre in vielen anderen Rollen versucht: als Redneck, als Alterna-Teen, als Gangsta und schließlich in dieser aktuellen Inkarnation, die er sich im letzten Semester zugelegt hatte. Seine Uniform des modebewussten Durchschnittsamerikaners bestand aus Nikes, Abercrombie-Hemd und Khaki-Cargo-Shorts. Ich verstand Tylers Typwechsel, da auch ich etliche Mutationen hinter mir hatte, wofür mein jetziger Aufzug der Beweis war.
    Tyler drehte sich zur Seite, damit er mit mir reden konnte, was mir gefiel, da wir uns so selten unterhielten. Das lag wahrscheinlich daran, dass der Basketballspieler, der normalerweise links von uns saß, heute nicht da war. Was Tyler von der permanenten Sorge befreite, ob der angesehene Dre »D-Dub« Walker ihn für gaga hielt, weil er mit mir sprach, oder – schlimmer noch – für arsch, ein beliebtes Wort auf Osborne, von »arscheng«, was zu enge Jeans bezeichnete (man sollte sie baggy tragen, schlabbrig). Irgendwann bedeutete »arsch« so viel wie »uncool« und war somit synonym mit »gaga«, und manchmal kombinierte ein besonders inspirierter Schüler die beiden Begriffe zu »arschgaga«.
    Jetzt, wo Tyler wirklich mit mir sprach, merkte ich, dass ihm die Worte fehlten.
    »Hattest du angenehme Ferien?«, bot ich an.
    »Irgendwie schon. Hätten länger sein können, aber ich hab die Zeit ausgekostet, wenn du weißt, was ich meine.« [27]  Seine Rede war von Rap-Videos voller Hintern und Filmen mit Ice Cube inspiriert.
    »Warst du verreist?«
    » P.C.B. «
    Der in der Zimmerecke angebrachte Fernseher schaltete sich automatisch ein. Auf dem Schirm erschien das Schulemblem, ein schlechtgelaunter Adler, der aussah, als wolle er jeden Moment jemanden umbringen.
    »Wie läuft’s bei dir so, halt, du weißt schon –«
    »Gut, danke.«
    »Ich war in Panama City, ey. Sonst wär ich hier gewesen.«
    »Mach dir nichts draus.« Am liebsten hätte ich ergänzt, das sei der wohl längste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher