Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne
Autoren: Joey Goebel
Vom Netzwerk:
seinem Kakao würgte; das Mädchen im Deutschkurs, wie es seinen neuen Namen an die Tafel schrieb, und Patricks Ohren, die rot anliefen, als er mir gestand, er wisse nicht, wer er sei.
    [427]  Ich hielt an und bedeutete Lauren, sich vor mir in die Schlange einzufädeln. Sie winkte und sah dann bestürzt drein, als sie merkte, wer sie vorgelassen hatte.
    Sobald Lauren vor mir war, rückte ich, meinem Grundsatz folgend, mit dem Wagen leicht vor, um zu zeigen, dass ich keinen anderen mehr reinlassen würde. Doch während ich mich nach vorn schob, sah ein Junge in einem roten Mazda eine Lücke und drückte so aufs Gas, dass ich Angst hatte, er würde mich rammen. Ich machte eine Notbremsung. Der Mazda setzte sich erfolgreich vor mich, wie auch der nächste Wagen und der nächste und der nächste. Das passierte nicht zum ersten Mal.
    Ich wollte sie lieben, aber das ließen sie einfach nicht zu.
    15 . 32   So ging es immer weiter, als würde ein ganzer Zug aus Autos an mir vorbeirasen, die alle so dicht aufeinanderfolgten, dass sie praktisch an den Stoßstangen zusammenhingen. Je länger das dauerte, desto nervöser wurde ich. Ich knirschte mit den Zähnen, und jeder Muskel in meinem Körper spannte sich an. Mein Herz klopfte wild, und jeder Laut klang wie ein Knall. Ich presste die Stirn gegen die Scheibe auf der Fahrerseite in der Hoffnung, dass sie sich erbarmten, wenn sie meine weit aufgerissenen Augen und das verstörte Gesicht sahen, doch niemand sah mich auch nur an.
    Inzwischen hupten die Autos hinter mir. »Sie lassen mich nicht rein!«, schrie ich. »Was zum Teufel soll ich denn machen!?« In dem Bewusstsein, dass ich im Mittelpunkt dieses tumultuösen Chaos war, spürte ich, wie es in meinen Eingeweiden wieder rumorte.
    [428]  Ich hörte Leute »Fahr doch!« schreien, doch niemand ließ mich rein. Ich fragte mich, ob ein Siebzehnjähriger einen Herzinfarkt bekommen konnte. Seltsamerweise klangen das Hupen und die Schreie gedämpfter, weil meine Ohren dichtmachten.
    Ich ertrug es nicht länger. Ich stellte die Automatik auf Parken und beschloss, einfach auszusteigen. Ich würde benommen den Fahnenmast umrunden, zur Gartenfläche gehen und mich zwischen die Blumen legen; ich war so panisch, dass mir das tatsächlich als geeignete Lösung erschien. Ich konnte dort liegen, in den Himmel schauen und warten, dass mich jemand wegbrachte. Ich konnte nach meiner Mutter verlangen.
    Als ich die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, hielt vor meinem Wagen ein silberner Chevy Blazer. Der Fahrer, Hamilton, bedeutete mir, ich solle mich einfädeln. Die neben ihm sitzende Chloe drehte sich um, schien überrascht, mich zu sehen, und lächelte dann. Ich winkte, sagte »Danke«, und beide winkten zurück. Ich stellte die Automatik auf Fahren und fuhr endlich los.
    Häufig ließ die Parkplatzwärterin mich an der Straßeneinmündung anhalten, doch heute nicht. Sie winkte mich durch, und ich verließ das Schulgelände. Ich atmete tief durch und sagte mir im Stillen, ich müsse mich beruhigen. Irgendwie war ich so geistesgegenwärtig, mich an das Tempolimit zu halten. Die anderen konnten mich nicht schnell genug überholen.
    15 . 34   Keine zehn Sekunden später kam ich an eine rote Ampel und musste neben den anderen Jugendlichen halten. [429]  Ich schaute mich um und sah, dass es Hamilton war, der jetzt nicht weiterkam. Doch er tat mir kaum leid, schließlich saß Chloe neben ihm. Chloe war jetzt Hamilton Sweeneys Beifahrerin, und das würde ich akzeptieren müssen. Ich sagte mir, sosehr ich Hamilton verabscheute, wenigstens hatte mein Dad mich nicht verlassen. Chloe würde ihm guttun, oder wenigstens war sie für ihn besser als er für sie.
    Das braune Backsteingebäude wirkte jetzt weniger bedrohlich. Wenn überhaupt, sah es kleiner aus. So verhasst mir die Highschool war, ich würde wahrscheinlich nie wieder gezwungen sein, auf so engem Raum mit so vielen Menschen zusammen zu sein, die ich nicht mochte – und mit so vielen Menschen, die ich mochte. Osborne war die Welt in ihrer unabwendbarsten Form, und obwohl die Schule mir soeben einen Tag beschert hatte, der einer zermürbenden Feuerprobe glich, wusste ich, dass die Welt in mancherlei Hinsicht nachsichtig mit mir umging, und eins stand fest: Es gab viel grausamere Tage, die ein Junge überstehen musste.
    Jetzt erst merkte ich, dass ich die ganze Zeit meine Musik hätte hören können. Ich machte die Autostereoanlage an. Das Stück von Oscar Peterson ging gerade zu Ende,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher