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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen
Autoren: dtv
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(reales) Leben bereitwilliger vor Fremden auszubreiten, auch wurden sie schneller gegenüber andersgeschlechtlichen Bekanntschaften intim. In einer zweiten Studie zeigte sich, dass sich Nutzer eines auffällig großen Avatars wiederum zunehmend unfair bis aggressiv in virtuellen Verhandlungenzeigten   – besonders gegenüber Teilnehmern mit einem eher kleinwüchsigen Kunst-Ich.
    Das war 2007 und zu diesem Zeitpunkt eher noch ein Laborversuch. Zwei Jahre später beobachtete Yee jedoch seine Probanden erneut   – diesmal im realen Leben. Und siehe da: Ihre virtuell antrainierten Verhaltensmuster behielten sie auch hier mehrheitlich bei   – insbesondere dann, wenn die virtuellen Spielwelten zuvor eine besonders realistische Umgebung erschaffen hatten.
    Im Dezember desselben Jahres, also auch 2009, experimentierte das Forscher-Duo Jorge Peña von der Universität von Texas in Austin sowie Jeffrey Hancock von der Cornell-Universität zufällig ebenfalls in Sachen Avatare. Okay, ganz zufällig war das nicht: In dem Jahr erzeugte die virtuelle Parallelwelt Second Life enormen medialen Rummel. Die Kids strömten reihenweise dorthin, die Unternehmen folgten, weil sie sich viel Geld versprachen, und die ersten Geschichten über Linden-Dollar-Millionäre   – die Währung dort   – gab es auch. Peña und Hancock forschten zwar nicht auf der Second-Life-Plattform, erzeugten für ihre Versuche aber ebenfalls eine künstliche Welt, ließen ihre Probanden dort ein wenig spielen und diskutieren und beobachteten sie anschließend unter realen Bedingungen. Auch hier passierte Erstaunliches: Wer zuvor in die Rolle eines schwarz gekleideten Avatars (ähnlich dem typischen Anzug eines Managers) geschlüpft war, zeigte sich hinterher wesentlich aggressiver und weniger teamfähig als jene Teilnehmer, die einen weiß gekleideten Avatar gesteuert hatten. Natürlich ging es dabei nicht um reine Schwarz-Weiß-Malerei. Ob das Resultat mit der Farbe oder vielmehr mit den damit verbundenen Assoziationen zusammenhing, testete das Duo deshalb in einem zweiten Versuch. Nun sollten die Probanden mit einer Figur durch die Kunstwelt navigieren, deren weißes Gewand stark an eine Robe des Ku-Klux-Klan erinnerte. Und tatsächlich   – auch diese Versuchsteilnehmer verhielten sich hinterher herrischer und intoleranter als zuvor. In der Fachsprache würde man auch sagen: Sie wurden durch ihr virtuelles Ich
geprimt
.
    Wer jetzt meint, das ließe sich mit dem Hinweis auf die Kunstwahrheiten klinisch reiner Laborwelten abtun, der irrt. So berichtet etwa eine gewisse »Miki« in einem Online-Forum, dass sie bislang an sozialer Angst und Agoraphobie, also dem Unwohlsein vor bestimmten Orten, gelitten habe. Vor einem Jahr sei sie Second Life beigetreten und habe sich eine große, attraktive und bestens gekleidete Avatarin zugelegt. Dort habe sie ein Leben geführt, das ihr real nicht möglich war: Sie war beliebt, gesellig, heiratete sogar online. Inzwischen habe ihr die Simulation auch im realen Leben geholfen, einfacher auf Menschen zuzugehen und Fremde anzusprechen. Oder wie Miki sagt: »Ich glaube, dass der Avatar mir mehr Selbstvertrauen gegeben hat.«
    Die Versuchung ist groß, dass auch wir uns alle nun künstliche Super-Avatare erschaffen, um ein besseres und selbstbewussteres Kohlenstoff-Selbst zu werden. Bevor Sie jedoch den Versuch starten, seien Sie noch einmal an Proteus erinnert: Der göttliche Greis war dazu in der Lage   – fand es aber schicker, Robben zu hüten. Womöglich verbirgt sich hier das wahre Zweitleben.

FÜR SCHNELLE AHA-EFFEKTE:
    HOSTILE-MEDIA-PHÄNOMEN
    Je stärker wir uns für eine Sache engagieren, desto eher vermuten wir in der Berichterstattung darüber Vorurteile gegen unsere Einstellung.
    CSI-EFFEKT
    Populäre TV Krimiserien sorgen in den USA dafür, dass Geschworene einer Gerichtsverhandlung unrealistische Erwartungen an die Forensik und deren Möglichkeiten stellen.
    WERTHER-EFFEKT
    Sobald Medien intensiv über einen spektakulären Selbstmord berichten, löst das weitere Selbstmorde aus.
    STREISAND-EFFEKT
    Wer versucht, negative Informationen über sich im Internet zu entfernen, erreicht nur, dass diese erst recht verbreitet werden.
    CLOONEY-EFFEKT
    Siedelt sich erst einmal eine Zelebrität in einer bestimmten Gegend an, dauert es nicht lange, bis alle dahin wollen und die Immobilienpreise irrwitzig steigen.
    KLEINE-WELT-PHÄNOMEN 2.0
    Dank dem Internet kennt heute jeder jeden über maximal drei Ecken.
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