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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen
Autoren: Alice LaPlante
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Es ist meine Schuld. Ich bin nach oben gegangen, um meine Tasche in meinem alten Zimmer abzustellen. Du weißt ja, ich übernachte heute bei dir. Magdalena meinte, du würdest dich freuen. Wir haben uns unterhalten und gar nicht gemerkt, dass du nach draußen gegangen bist. Wo wolltest du denn bloß hin?
    Zu Amanda. Heute ist doch Freitag, oder?
    Nein, heute ist Mittwoch. Aber ich verstehe schon. Du wolltest also zu Amanda.
    Heute ist unser Tag.
    Ja. Sicher. Sie überlegt, scheint einen Entschluss zu fassen. Also gut, gehen wir zu Amanda. Vielleicht ist sie ja zu Hause.
    Wie heißt du?
    Fiona. Ich bin deine Tochter.
    Ja. Ja, stimmt. Jetzt erinnere ich mich wieder.
    Gehen wir. Mal sehen, ob Amanda da ist. Sieh mal, die Ampel ist jetzt grün. Sie fasst mich am Arm und führt mich über die Straße. Obwohl ich mindestens zehn Zentimeter größer bin als sie, fällt es mir schwer, mit ihr Schritt zu halten. Wir gehen am Secondhandladen vorbei, an der Hochbahn-Station, biegen an der Kirche um die Ecke, und plötzlich ist die Welt wieder in Ordnung. Ich bleibe vor einem Haus stehen, einem Backsteinhaus mit einem niedrigen, schmiedeeisernen Zaun um den Vorgarten. Ein kahler Baum beugt sich über den Weg, der zur Haustür führt.
    Ja, das ist unser Haus. Aber jetzt gehen wir Amanda besuchen.
    Ich erinnere mich, sage ich. Drei Häuser weiter. Eins, zwei, drei.
    Genau. Da sind wir schon. Komm, wir klopfen an, mal sehen, ob Amanda zu Hause ist. Wenn nicht, gehen wir nach Hause und trinken eine Tasse Tee und lösen ein Kreuzworträtsel. Ich habe dir ein neues Heft mitgebracht.
    Fiona klopft dreimal kräftig an. Ich drücke die Türklingel. Wir warten auf der Veranda, aber niemand kommt. Kein Gesicht erscheint hinter den Gardinen des Wohnzimmerfensters. Nicht dass Amanda jemals so durch die Gardinen linsen würde. Obwohl Peter sie immer davor warnt, reißt sie jedes Mal die Tür auf, ohne vorher nachzusehen, wer da ist. Stets bereit, sich dem zu stellen, was das Leben ihr beschert.
    Fiona steht mit dem Rücken zur Tür. Ihre Augen sind geschlossen. Ihr Körper bebt. Ob vor Kälte oder aus einem anderen Grund, weiß ich nicht. Gehen wir, Mom, sagt sie. Es ist niemand zu Hause.
    Seltsam, sage ich. Amanda hat noch nie unseren Freitag verpasst.
    Mom, bitte. Ihre Stimme klingt dringlich. Sie zieht mich die Stufen hinunter, so schnell, dass ich stolpere und beinahe hinfalle, dann schiebt sie mich zurück auf den Gehweg. Eins. Zwei, drei. Wir stehen wieder vor dem Backsteinhaus.
    Die Hand auf dem schmiedeeisernen Törchen, bleibt Fiona stehen und schaut hoch. Sie wirkt schrecklich traurig, aber während sie das Haus betrachtet, ändert sich ihr Gesichtsausdruck. Sehnsüchtig.
    Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dieses Haus liebe, sagt sie. Es wird mir sehr schwerfallen, mich davon zu trennen.
    Warum solltest du dich davon trennen?, frage ich. Dein Vater und ich haben nicht vor umzuziehen. Der Wind pfeift uns um die Ohren, wir sind beide bleich vor Kälte, aber wir bleiben reglos auf dem Gehweg vor dem Haus stehen. Die Kälte kommt mir entgegen. Sie passt zu dem Gespräch, das mir wichtig erscheint.
    Fiona ist blass, und sie hat Gänsehaut auf den Armen, rührt sich jedoch nicht von der Stelle. Das zweistöckige Haus vor uns ist massiv, das steht fest. Die warmen, roten Backsteine, die großen, auskragenden, rechteckigen Fenster, das flache Dach, das so typisch ist für die Chicagoer Häuser aus der Zeit. Auf einmal sehne ich mich so sehr nach dem Haus wie damals, als James und ich zum ersten Mal davorstanden und glaubten, es wäre für uns unerschwinglich. Und doch gehört es uns. Mir. Ich habe James so lange bedrängt, bis wir es schließlich gekauft haben, obwohl wir es uns damals eigentlich nicht leisten konnten. Es ist mein Zuhause.
    Zuhause, sagt sie, als könnte sie meine Gedanken lesen, dann schüttelt sie den Kopf, wie um etwas loszuwerden. Sie fasst mich am Ellbogen, schiebt mich die Stufen hinauf, führt mich ins Haus, hilft mir, den Mantel und die Schuhe auszuziehen.
    Ich möchte dir etwas zeigen, sagt sie. Nimmt etwas viereckiges Weißes aus der Hosentasche, faltet es auseinander. Schau mal, sagt sie. Schau es dir an.
    Ein Foto. Von meinem Haus. Nein, Moment. Es stimmt nicht ganz. Das Haus ist ein bisschen kleiner, es hat weniger und kleinere Fenster, ist einstöckig. Aber es ist der gleiche Chicagoer Backstein,
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