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Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Titel: Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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andere zu arbeiten, oder jedenfalls nicht den ganzen Tag. Man kann nüchtern überschlagen, ob das Hinterherrennen hinter Stipendien und Förderungen nicht mehr Energie kostet, als man dadurch gewinnt. Man kann sich fragen, ob man unbedingt seine Kunst bis zur Unkenntlichkeit verschandeln muss, damit sie von herrschenden Institutionen abgesegnet wird. Oder ob es nicht auch anders geht: In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte der Filmemacher Klaus Lemke einmal, warum er seine Filme stets selbst finanziert: »Um das Geld zusammenzukratzen, muss man Sachen machen, die furchtbar sind. Will ich nicht. Ergo: keine Gremien, keine Schauspieler, keine Kosten.«
SO PFEIFEN SIE AUF DIE KARRIERE
    Natürlich wäre es schön, wenn sich alle kollektiv verweigern würden und sich niemand mehr findet, der schlechte Drehbücher fürs Fernsehen schreibt oder sich in seine Zeitungsartikel dreinreden lässt. Wenn niemand viel zu viel für viel zu wenig Geld arbeitet und alle aufstehen und gehen, sobald sie sich nicht mehr tiptop behandelt fühlen.
    Solange das aber nicht der Fall ist, muss man individuelle Grenzen ziehen. Sich dem Karrieredruck zu verweigern, kann verschiedene Formen annehmen und muss mitnichten immer absolut sein, je nach Persönlichkeit gibt es verschiedene Abstufungen:
1. Stufe: Hartz IV beantragen
    Lieber kniend leben, als kniend arbeiten.
2. Stufe: Arbeit ohne Prestige annehmen
    Als ich ausgerechnet habe, dass ich mit Unterricht an der Volkshochschule und Nachhilfe mehr verdiene als Angestellte in einer Werbeagentur, habe ich gekündigt. An den weiteren Vorteil, den meine neuen Jobs gegenüber meiner vorherigen Tätigkeit haben, hatte ich ursprünglich gar nicht gedacht, er ist mir nur im Nachhinein aufgefallen: Bei meinen Seminaren oder Nachhilfestunden stehen kein Chef und keine Kollegen neben mir, die mich und meine Leistungen ständig kontrollieren. Nie muss ich »mein Bestes« geben; wenn ich einigermaßen pünktlich komme und ohne Missmut meine Arbeit erledige, ist es gut genug.
    Statt Artikel, Drehbücher, Konzepte dutzende Male umzuschreiben, bis einem die Lust auf diese Projekte gründlich vergangen ist, kann man wieder Taxi fahren und nur schreiben, wenn man Lust darauf hat. Auch Schauspieler oder Künstler zu sein, macht keinen Spaß mehr, wenn man dafür eine Ablehnungsorgie nach der anderen ertragen muss. Nicht wenige suchen sich einen neuen Beruf und spielen nur noch in Independent-Produktionen mit oder organisieren selber welche. Der gefürchtete Abstieg ist jedenfalls manchmal viel weniger schlimm, als man denkt. Für die meisten ist es das Ende einer langen Sinnkrise. Inzwischen gibt es immer mehr Menschen, die sich bewusst »downgraden« und ihre prestigeträchtigen Jobs hinwerfen und wieder etwas »Normales« machen, wie zum Beispiel Matthew B. Crawford, der seine steile akademische Karriere als politischer Philosoph und Berater abbrach, um Motorradmechaniker zu werden.
3. Stufe: Nach Afrika gehen
    Geht man in ein Krisengebiet nach Asien oder Afrika, um dort anderen Menschen zu helfen, bekommt man zwar kein Geld, aber Anerkennung. Anderen Menschen zu helfen, macht glücklich, und vor allen Dingen braucht es keinen externen Qualitätssupervisor, der einen auf vorhandene Soft Skills und Diversity prüft, um zu entscheiden, ob die eigene Tätigkeit sinnvoll ist oder nicht.
4. Stufe: Gesellschaftlicher Protest
    Gegen den Zwang, sich in dieser Gesellschaft über seine Erwerbsarbeit und sein Einkommen zu definieren, kann man protestieren – das ist allemal besser, als bei einem Wettbewerb mithalten zu wollen, den man eigentlich als grundfalsch empfindet. Alternative Konzepte gibt es viele, zum Beispiel die Initiative für ein allgemeines Grundeinkommen. Es macht doch mehr Spaß, mit anderen über gesellschaftliche Utopien zu diskutieren, als seinen Vorgesetzten nach dem Mund zu reden.
Die Kür: Aus seiner Empörung Kunst machen
    Wer die Allgemeingültigkeit seiner Erfahrungen begreift, ist fein raus. Er kann nämlich aus seiner Wut und seinem Ärger Kunst machen. Es ist ungemein befriedigender, einen Film wie Work hard, play hard über heutige Arbeitsverhältnisse zu machen, als selbst in ihnen zu stecken.
    Einen brillanten Einfall hatte der Autor des Buches Arbeit? Nein danke! , Jürgen Spenzinger. Er drehte den Spieß um: Statt Bewerbungen an Unternehmen zu schicken, schrieb er ihnen Absagen. Seine Absagen spickte er mit den gleichen frostigen, nichtssagenden Formeln wie die
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