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Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Titel: Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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man muss sie ernst nehmen, denn es ist unsere eigene Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, die ihre lächerlichen Anstrengungen spiegeln, und unser Ehrgeiz.«
    Liest man die Stellenanzeigen in einer beliebigen Tageszeitung, stellt man fest, dass die überzogenen und teils abstrusen Forderungen der Arbeitgeber gesellschaftlich etabliert sind. Kaum einer bemerkt das Groteske, wenn »höchster Einsatz« verlangt wird, wo regelmäßige Anwesenheit in einigermaßen nüchternem Zustand völlig ausreichend wäre. Fast überall ist »außergewöhnliche Einsatzbereitschaft« und »Leidenschaft« erwünscht. »Teamgeist« soll man haben und »jahrelange Berufserfahrung«. In namhaften Firmen in der ganzen Welt soll man gearbeitet haben und die dort erworbene Expertise der kleinen Firma in Bielefeld zur Verfügung stellen.
    Wozu die eingeforderte ständige Begeisterung und Flexibilität nötig ist, wissen die wenigsten Arbeitgeber.
    Das liegt daran, dass gerade bei den Jobs mit Karriereaussichten eigentlich keiner mehr weiß, was er wirklich leisten soll. Nur dass er etwas leisten soll, das weiß er. Ein ständiges Getriebensein, welches sich an nichts wirklich festmachen lässt, weil sich Leistungen wie »Management«, »Controlling« und »Performance-Steigerung« schwer messen lassen. Je unkonkreter eine Leistung ist, desto höher ihr Status und umgekehrt. Mit anderen Worten: Im Management und der Verwaltung werden höhere Gehälter gezahlt als in der Produktion.
    Je höher man also die Karriereleiter hinaufklettert, desto mehr wächst die Unsicherheit darüber, was man leistet und ob das Gehalt, das man für diese Leistung bekommt, gerechtfertigt ist.
    Der Journalist Oliver Geyer schreibt dazu, dass vielen Menschen in den Großraumbüros von Unternehmensberatungen, Agenturen, Medienfirmen und Konzernen, die als Projektmanager, Trainees und Consultants angestellt sind, nicht wirklich klar ist, wofür die vielen Strategiepapiere, Exceltabellen und Powerpoint-Präsentationen überhaupt gut sein sollen, dass man ständig an irgendetwas arbeitet, das später gar nicht umgesetzt wird; dass der Einzelne seinen Beitrag zum ständig beschworenen »Teamerfolg« in Wahrheit oft nicht erkennen kann; und dass zur Kompensation all dessen ein ziemliches Getue um das Engagement der Mitarbeiter gemacht werde. Mit wie viel Begeisterung und Flexibilität sie sich aber auch einbringen – »sich committen«, wie es auf Manager-Deutsch heißt – es ist nie genug.
Mitarbeiter von heute committen sich, bis der Arzt kommt und Burnout diagnostiziert.
Oliver Geyer, Journalist
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    So ähnlich erlebte es der politische Philosoph und Berater Matthew B. Crawford. In seinem Buch Ich schraube, also bin ich beschreibt er, warum er seine akademische Karriere als Berater abgebrochen und auf Motorradmechaniker umgeschult hat. Vorher war er kurzzeitig sogar mal geschäftsführender Direktor einer Denkfabrik in Washington D. C., einer jener wissenschaftlichen Politikberatungen, die in Wirklichkeit oft getarnte Lobbyarbeit für die Industrie betrieben. Crawford gesteht: »Ich verstand nicht, wofür man mich bezahlte. Welche greifbaren Erzeugnisse und nützlichen Dienste hatte ich anzubieten? Erst in der Werkstatt habe ich das Denken gelernt.«
    Motorradmechaniker wird niemals den Nimbus und das Prestige haben wie eine Position im Management eines international agierenden Konzerns. Aber warum eigentlich nicht? Glaubt man Matthew B. Crawford, dann fordert einen ein defekter Motorradmotor mehr heraus als eine Qualitätsanalyse der Kundenbetreuerperformance. Wer stotternde Motoren wieder zum Laufen bringt, muss auch nicht den Wert seiner virtuellen Konzepte permanent herbeiinterpretieren.
    Bei einem Kameraschwenk durch das neue Unilever -Haus in Hamburg sieht man im Film Work hard, play hard im Hintergrund eine Putzfrau die offene Teeküche putzen. Man beneidet sie, denn sie scheint als Einzige in diesem riesigen Gebäude zu wissen, was sie tut. Sie darf putzen, ohne unentwegt Begeisterung heucheln zu müssen, sie muss nicht mitklatschen und im Chor »Go for it« schreien, wenn der Vorstandsvorsitzende spricht und seine Mitarbeiter auf noch mehr Leistung einschwört.
Der Erste, der Nein zur Karriere sagt,
wird berühmt.
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    Die Ersten, die unzumutbare Bedingungen ablehnen, müssen vielleicht mit dem Verlust des Arbeitsplatzes rechnen. Sie haben dafür die Gelegenheit, etwas zu verändern. Nicht Gesetze, sondern die herrschenden Moralvorstellungen bestimmen
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