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Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Titel: Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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und Verzweiflung zu nutzen? Wie zum Beispiel die jungen Israelis, die vor zwei Jahren in der Innenstadt von Tel Aviv ein großes Zeltlager errichteten, um auf diese Weise gegen viel zu hohe Mieten und Jugendarbeitslosigkeit zu protestieren.
    Heute sieht man seine Konkurrenten nicht, aber sie sind da. Sie stehen nicht an, sie senden ein. Es ist übrigens nicht wirklich ein großer Unterschied, ob man verzweifelt, weil man nicht weiß, wie man sein tägliches Überleben sichern soll, oder weil man erkennt, dass es fast unmöglich ist, den Job zu bekommen, den man sich wünscht.
    Eine Chance auf ein Künstlerstipendium im Schloss Solitude in Stuttgart ist beispielsweise etwa sechsmal härter umkämpft als der Job einer Stenotypistin im Nachkriegsitalien. Selbst einigermaßen etablierte Regisseure rennen hinter Drehbuchförderungen her, und wenn sie ein Drehbuch geschrieben haben, muss es erst für die Produktionsfirma oder den jeweiligen Sender Dutzende Male geändert werden – um dann meistens doch in der Schublade zu landen. Von den Ausfallhonoraren, die es für diese entwürdigende Prozedur gibt, kann fast kein Drehbuchautor leben.
Leute mit Anspruch werden ausgenutzt.
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    Der Anspruch, sein Schicksal auch unter schwierigen Bedingungen in die eigenen Hände zu nehmen, ist im Prinzip lobenswert, aber man kann durch diesen Anspruch den Blick fürs Wesentliche verlieren. Man muss sich bewusst machen, dass es bei der Entfaltung der eigenen Talente stets darum geht, größere Autonomie zu erlangen. Dann erkennt man schnell, dass es nicht sinnvoll ist, sich die größere Autonomie erkaufen zu wollen, indem man seine Selbstbestimmung abgibt. Und man gibt seine Selbstbestimmung ab, wenn man ein Beschäftigungsverhältnis annimmt, bei dem man Vollzeit arbeitet und trotzdem den Staat oder den Partner oder die Eltern bitten muss, das armselige Honorar aufzustocken.
    Über das Phänomen, dass nicht wenige Leute unzumutbare Beschäftigungsverhältnisse akzeptieren, weil sie hoffen, sich irgendwann dadurch zu verbessern, ist schon viel berichtet worden, zum Beispiel unter dem Stichwort »Generation Praktikum«.
    Das »Regime der Selbstführung« bringt über Dreißigjährige dazu, als Praktikanten für ein Taschengeld zu arbeiten, in der Hoffnung, eines Tages übernommen zu werden. Dabei ist in einigen Branchen der Weg nach oben schon lange verbaut. So gestand der ehemalige Intendant des Deutschlandfunks in einem Interview, dass eine Karriere wie die seine heute nicht mehr möglich sei. Eine Karriere, die mit Kabeltragen angefangen hatte, dann über erste, eigene Reportagen und Programmleitung bis zur Intendanz führte. Heute ist die Chance, als Radiomoderator eine eigene Sendung zu moderieren, keine Frage mehr von Talent und harter Arbeit, sondern vielmehr von Glück und Beziehungen.
    Immer absurder werden die Ansprüche derer, die eine interessante Arbeit oder die »Chance« auf eine interessante Arbeit zu vergeben haben. Vor Jahren wurden ein Kollege und ich von einem Mann zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, der einen größeren Auftrag zu vergeben hatte: Der Mann hatte sich ein Schloss in Brandenburg gekauft, und seine Idee war, dass wir eine ganze Fernsehserie um das Schloss herum schreiben sollten. Wenn diese Serie später von einem Fernsehsender in seinem Schoss gedreht werden würde, könnte er von den Mieteinnahmen die aufwändige Renovierung finanzieren. Als ich ihn fragte, wie viel er uns denn für die Serienidee inklusive Ausführung bezahlen wolle, antwortete er: »Bezahlen, wieso? Ich hatte die Idee, und ihr schreibt sie auf.« Ob er besondere Kontakte zu einem Fernsehsender habe, wollte ich wissen. Die hatte er nicht. Als ich ablehnte, wurde der Schlossbesitzer ärgerlich und gab seinem Unverständnis Ausdruck, wie man so eine Riesenchance ausschlagen könne. Mein Kollege hätte übrigens angenommen.
    Ein befreundeter, nicht unbekannter Schauspieler erzählte mir, dass ihm regelmäßig die unbezahlte Mitarbeit bei irgendwelchen Filmprojekten angetragen werde. Stets wird argumentiert, dass er sich mit diesem Film als Schauspieler »einen Namen machen« könne.
    »Irgendwann«, so der Freund, »muss man noch was dazubezahlen, um arbeiten zu dürfen.«
MIT CHANCEN BEZAHLT MAN
KEINE MIETE!
    Schaut man genau hin, erkennt man, dass das, was der befreundete Schauspieler als groteske Übertreibung formuliert hat, längst Wirklichkeit geworden ist. Wenn bei einem Praktikum die Eltern oder der Lebenspartner den
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