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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig
Autoren: Sabine Durrant
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Studio fahren und mich im Auto schminken –, aber daran sollte ich jetzt nicht denken. Ich hocke mich hin, setze mich in das feuchte Gras und bin mit ihr allein. Sie sieht so verletzlich aus. Ich bemerke einen scharfen, muffigen Geruch, wie Krankenhausflure oder Schwimmbadumkleidekabinen. Ich versuche, nicht auf ihre Augen zu sehen. Winzige Punkte überziehen ihre Augenlider, bis zu den schmal gezupften Augenbrauen. Ich berühre ihr Haar. Es fühlt sich tot an, aber das sind Haare doch, oder? Irgendwas an ihrem Top – mit Flügelärmeln, vorne runter Knöpfe – stört mich. Unter einer Achsel ist es zusammengeknüllt, und man sieht ihren BH . Ein loser Träger aus schwarzer Spitze hängt vorne raus; er hat sich wohl losgerissen.
    Ich weiß nicht, warum ich das tue. Ich tue es fast, ohne zu überlegen. Etwas rührt sich in mir, und ich nehme den losen Träger aus schwarzer Spitze und schiebe den Haken in die Öse vorn am Körbchen des BH s. Meine Knöchel streichen über den Stoff. Die Oberfläche ist kalt, feucht. Ich höre etwas, und mir geht auf, dass ich Laute von mir gebe. Ich singe. Das Wiegenlied, das ich Millie immer vorgesungen habe, wenn sie beruhigt werden musste. Selbst damals konnte ich mir den Text nicht richtig merken. »Rüttelnd und schüttelnd … alle wollen nach Morgenstadt, viele Kilometer entfernt …« Die Worte bleiben mir im Hals stecken. Es klingt wie ein Stöhnen.
    Wie eine Ewigkeit kommt es mir vor, doch es vergehen nur wenige Minuten, bis eine Sirene zu hören ist. Schon in dem Augenblick, da ich das Haus verließ, wusste ich, dass etwas passieren würde. Ich hatte so ein Gefühl: ein banges, leicht süßliches Gefühl in der Magengrube – eine gruselige Vorahnung.

    Sie kommen zu zweit. Eine Frau in Uniform – sie erkennt mich, das sehe ich an ihren leicht geröteten Wangen und wie sie die Augen aufreißt und ihren Kollegen ansieht, als wollte sie sagen: Das ist sie … du weißt schon, die aus dem Fernsehen. Falls der Mann weiß, wer ich bin, wird er es sich nicht anmerken lassen. Er trägt Alltagskleidung – Jeans und Polohemd –, ein Zeichen für seinen Rang in der Polizeihierarchie. Ich habe oft genug Inspektor Morse gesehen, um das zu wissen. Als er sich vorstellt, fährt er mit einer Hand durch sein leicht fettiges, dichtes, dunkles Haar. Sein Name ist DI Perivale. »Und das hier ist PC Morrow.«
    Wir sind an der Tennishütte. Ich bin zurückgelaufen, als die Sirene verstummte, als das blaue Licht durch die Bäume zuckte. Ich schüttele ihnen die Hand, denn plötzlich habe ich ein starkes Bedürfnis nach Körperkontakt. Ich darf nicht weinen; ich bin nicht diejenige, die tot ist. PC Morrow, die aussieht, als wäre sie zwölf, fasst mich im Gehen am Arm. Sie ist klein und sommersprossig, das mittelbraune Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden; sie ist fast hübsch, obwohl ihre Augen ziemlich nah zusammenstehen und ein Vorderzahn übel überkront ist. Sie erklärt mir, sie habe gerade Schichtende gehabt, als der Anruf einging. »Hatte mich schon auf ein Sandwich mit gebratenem Speck gefreut. Ketchup. Bisschen Würzsoße.« Sie will mich beruhigen. DI Perivale liegt daran nichts. Er geht voraus – krumme Schultern, die Jeans hängt ihm hinten runter. Er rammt die Füße in den Boden wie ein Skifahrer seine Stöcke, entschlossen, als wollte er sich ausbalancieren.
    Ich muss ihnen nicht sagen, wo sie ist. Es ist offensichtlich. Als wir näher kommen, sagt DI Perivale, ich solle auf dem Weg warten – beziehungsweise zeigt er es mir, indem er den Arm ausstreckt wie eine Barriere.
    »Von der Kripo. Er ist gerade erst gekommen«, flüstert PC Morrow entschuldigend. »Wir haben die Hunde herbestellt. Das Soko-Team ist gleich hier – acht Minuten, wenn sie mit Blaulicht fahren, würde ich tippen.«
    »Soko?«, hake ich nach.
    »Tatort-Sonderkommission. Die sperren das Gebiet ab und durchkämmen es nach Beweisen.«
    Ich frage sie, was für eine Art von Beweisen, und sie sagt: »Alles Mögliche, Fußabdrücke, das Tatwerkzeug, Fasern, Blut, Haare, Farbe, Glas. Erstaunlich, was die alles einsammeln. Wir müssen also verhindern, dass Sie den Fundort verunreinigen.«
    »Hoffentlich habe ich das nicht schon gemacht.«
    Sie blickt in das Gestrüpp und macht staunend: »Tz, tz, tz. Man sollte doch wirklich meinen, die Leute würden hinter sich aufräumen.«
    Einen bizarren Augenblick denke ich, sie meint die Tote, und lache halb vor Schock auf, doch dann zeigt sie mit dem Kinn auf eine
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