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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller
Autoren: Dan Wells
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nicht davon abgehalten, jemanden zu töten. Ich hatte ihn nicht einmal behindert. Mit den Fotos und dem Anruf bei Neblin hatte ich viel Zeit vergeudet, und dann hatte ich gegen meine dunkelsten Instinkte angekämpft, bis es zu spät gewesen war. Als ich endlich den Dämon erreicht hatte, hatte er bereits sein Opfer gefunden und ein Organ gestohlen. Er hatte sich bereits regeneriert. All das nur, weil ich mich nicht beherrschen konnte. Ich wollte auf die Autotür einschlagen, brüllen oder irgendein anderes Geräusch von mir geben, doch ich wagte es nicht. Vielmehr schlich das Monster in mir geschmeidig und heimtückisch herbei und wollte die Leiche betrachten. Obwohl ich Morde beobachtet und oft beim Einbalsamieren geholfen hatte, war ich bisher noch nie mit einem frisch Verstorbenen allein gewesen. Ich wollte ihn berühren, solange er noch warm war, die Wunde betrachten und erkunden, was der Dämon genommen hatte. Es war ein dummer Impuls und ein dummes Risiko, aber das hielt mich nicht davon ab. Mr Monster war inzwischen viel zu stark.
    Die Fahrertür stand offen, ich kauerte allerdings auf der Beifahrerseite, die dem Haus abgewandt war. Leise öffnete ich die Tür. Im Auto piepste es unablässig, weil die Scheinwerfer noch brannten. Ich schaltete sie nicht aus. Die plötzliche Veränderung des Lichts hätte den Dämon gewarnt, dass ich noch in der Nähe war. Er würde sowieso gleich nach mir suchen, und inzwischen wollte ich die Zeit so gut wie möglich nutzen. Ich öffnete den Mantel der Leiche und suchte nach der Wunde.
    Es gab keine Wunde.
    Der Kopf war grotesk verdreht, das Gesicht war gegen die Lehne gepresst. Der Dämon hatte ihm offenbar mit einer Kralle die Kehle durchgeschnitten, aber das war die einzige Verletzung. Der Mantel war unbeschädigt, der Oberkörper offenbar intakt. Das Blut auf dem Sitz und der Kleidung stammte allein von der Halsverletzung.
    Was hatte der Dämon seinem Opfer genommen? Ich betrachtete den Hals aus der Nähe. Der Kopf war nicht völlig abgetrennt, nur die Schlagadern waren aufgerissen. Sonst schien dem Toten nichts zu fehlen.
    Dann endlich drehte ich ihm den Kopf herum und wischte das Blut und das verklebte Haar weg, um sein Gesicht zu betrachten. Fast hätte ich aufgeschrien.
    Der Tote war Dr. Neblin.
    Ich taumelte zurück und wäre beinahe hingefallen. Gleichzeitig kippte die Leiche zur Seite. Erschrocken blickte ich zu Crowleys Haus hinüber, dann starrte ich wieder ins Auto.
    Er hatte Dr. Neblin umgebracht.
    Fieberhaft suchte ich nach einer Erklärung. War Crowley mir auf die Schliche gekommen? Nahm er sich jetzt Menschen vor, die ich kannte? Aber warum Neblin, wenn meine Mom gleich gegenüber wohnte? Vermutlich deshalb, weil der Dämon männliche Körper brauchte. Aber nein – das konnte nicht sein. Ich mochte nicht glauben, dass er mich durchschaut hatte. Das wäre mir aufgefallen.
    Also, warum Neblin?
    Während ich den Toten anstarrte, erinnerte ich mich an unser Telefongespräch, und mir wurde schlagartig eiskalt. Neblin hatte mir eine Botschaft geschickt. Ich zog das Handy aus der Tasche und ahnte bereits, wie sie lauten würde.
    »John, du solltest jetzt nicht allein sein. Wir müssen reden. Ich komme zu dir. Ich weiß nicht einmal, ob du zu Hause bist oder ob sonst jemand dort ist, aber ich kann dir helfen. Bitte, lass mich dir helfen. Ich bin in ein paar Minuten bei dir. Bis gleich.«
    Er war aufgebrochen, um mir zu helfen. Mitten in einer eiskalten Januarnacht hatte er sein Haus verlassen und war durch die leeren Straßen gelaufen, um mir beizustehen. Durch die leeren Straßen, wo ein Killer auf neue Beute gelauert und keine gefunden hatte, bis der arme, wehrlose Dr. Neblin vor ihm aufgetaucht war. Der einzige Mann in der Stadt, den der Dämon hatte finden können.
    Meinetwegen hatte er ihn gefunden.
    Ich starrte den Toten an und dachte an alle anderen, die der Killer vorher getötet hatte. Jeb Jolley und Dave Bird, die beiden Cops, die ich in den Tod geschickt hatte, den Streuner, den ich am See nicht gerettet hatte. Ted Rask, Greg Olson, Emmett Openshaw und wer weiß wie viele andere, von denen ich nichts wusste. Eine Parade von Leichen, die reglos in meinen Erinnerungen verharrten, als wären sie nie lebendig gewesen. Eine Reihe ewiger Leichen, perfekt konserviert, die weit in die Geschichte zurückreichte. Wie lange ging es schon so? Wie lange würde es noch weitergehen? Ich war dazu verdammt, dieser Reihe ewig zu folgen und immer neue Leichen zu waschen und
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