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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller
Autoren: Dan Wells
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überfordert sind, und dann dreht er sich um und tut wieder etwas Gutes. Das ist faszinierend, Mom. Es ist nicht verrückt, davon besessen zu sein. Es ist verrückt, wenn man es nicht ist.«
    Mom starrte mich an.
    »Dann sind Serienmörder so etwas wie Filmhelden?«, fragte sie.
    »Das habe ich nicht behauptet«, entgegnete ich. »Sie sind krank und verrückt und begehen schreckliche Taten. Ich glaube aber nicht, dass es automatisch krank und verrückt ist, wenn man mehr über sie erfahren will.«
    »Es ist ein großer Unterschied, ob du etwas über sie erfahren willst oder glaubst, du könntest einer von ihnen werden«, wandte Mom ein. »Ich mache dir keinen Vorwurf – ich bin nicht die beste Mutter, und Gott weiß, dein Vater war noch schlimmer. Dr. Neblin sagt, du stellst für dich selbst Regeln auf, damit du unter keinen schlechten Einfluss gerätst.«
    »Ja«, bestätigte ich. Endlich hörte sie zu und sah das Gute und nicht immer nur das Schlechte.
    »Ich will dir helfen«, sagte sie. »Deshalb gibt es jetzt eine neue Regel: Du hilfst nicht mehr in der Leichenhalle.«
    »Was?«
    »Es ist nicht der richtige Aufenthaltsort für einen Jungen«, erklärte sie. »Du hättest niemals dort helfen dürfen.«
    »Aber ich …« Aber was? Was hätte ich einwenden können, ohne sie noch heftiger zu schockieren? ›Ich brauche die Leichenhalle, weil ich dort gefahrlos mit Toten in Berührung komme. Weil ich zusehen kann, wie die Körper sich wie Blüten öffnen und zu mir sprechen und mir erzählen, was sie wissen‹? Dann hätte sie mich aus dem Haus geworfen.
    Bevor ich etwas sagen konnte, schlug Moms Handy an. Es war eine blecherne elektronische Version der Ouvertüre aus William Tell . Diesen Klingelton hatte Mom für das Büro des Gerichtsmediziners reserviert. Ein geschäftlicher Anruf. Es gab nur einen Grund, weshalb der Gerichtsmediziner um 22.30 Uhr am Sonnabend anrief, und wir kannten ihn beide. Seufzend wühlte sie in ihrer Handtasche nach dem Handy.
    »Hallo, Ron«, meldete sie sich. Pause. »Nein, schon gut, wir waren sowieso gerade fertig.« Pause. »Ja, das wissen wir. Wir haben damit gerechnet.« Pause. »Ich bin in einer Minute unten, also ist mir egal, wann Sie kommen können. Nein, kein Problem. Wir wussten ja beide über die Arbeitszeiten Bescheid, als wir uns für diesen Beruf entschieden.« Pause. »Ja, gut, und bis nachher dann.«
    Mit einem Seufzer schaltete sie das Handy ab. »Du weißt vermutlich, worum es ging«, sagte sie.
    »Die Polizei ist mit Jebs sterblichen Überresten fertig.«
    »Sie bringen ihn in einer Viertelstunde«, sagte sie. »Ich muss jetzt runter. Ich … wir setzen diese Diskussion später fort. Es tut mir alles schrecklich leid, John. Es hätte so ein gemütliches Abendessen werden können.«
    Ich blickte zum Fernseher. Homer würgte gerade Bart.
    »Ich will dir helfen«, sagte ich. »Es ist schon nach zehn. Du bist die ganze Nacht auf, wenn du es allein machst.«
    »Margaret hilft mir«, erwiderte sie.
    »Dann dauert es fünf statt acht Stunden – das ist immer noch zu lange. Wenn ich helfe, sind wir in drei Stunden fertig.« Ich sprach ruhig und gelassen. Sie durfte mir nicht alles wegnehmen, aber sie sollte auch nicht merken, wie wichtig es mir war.
    »Der Tote ist in einem denkbar schlechten Zustand, John. Er wurde zerfetzt. Es dauert lange, ihn wieder zusammenzuflicken. Das ist kein angenehmer Anblick, und du bist ein Psychopath.«
    »Autsch, Mom.«
    Sie nahm ihre Handtasche. »Entweder es macht dir was aus, dann solltest du nicht mitkommen, oder es macht dir nichts aus. Und das zeigt dann nur, dass ich dich niemals hätte mitnehmen dürfen.«
    »Soll ich wirklich hier allein bleiben?«
    »Du findest schon eine sinnvolle Beschäftigung«, wiegelte sie ab.
    »Wir setzen einen Leichnam wieder zusammen«, erwiderte ich. »Gibt es etwas Konstruktiveres?« Ich zuckte zusammen – schwarzer Humor war sicher nicht hilfreich. Es war ein Reflex gewesen, mit dem ich wie Dr. Neblin die Spannung hatte abbauen wollen.
    »Außerdem gefällt es mir nicht, wenn du Witze über den Tod reißt«, sagte sie. »Bestatter haben ständig mit dem Tod zu tun, er umgibt uns jede Minute des Tages. Dieser innige Kontakt kann dazu führen, dass man die Achtung verliert. Ich habe es bei mir selbst beobachtet, und das stört mich. Wäre dir der Tod nicht so vertraut, dann ginge es dir besser.«
    »Mir geht es gut, Mom«, widersprach ich. Was konnte ich noch sagen, um sie zu überzeugen? »Dabei weißt
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