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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller
Autoren: Dan Wells
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du doch genau, dass du Hilfe brauchst, und außerdem willst du mich nicht allein lassen.« Auch wenn ich keine Empathie besaß, meine Mutter hatte sie, und damit konnte ich mich gegen sie zur Wehr setzen. Wo die Logik versagte, retteten mich meine Schuldgefühle.
    Sie seufzte und schloss fest die Augen, um irgendetwas auszublenden, das ich nicht einmal erahnen konnte. »Na schön. Aber zuerst essen wir die Pizza auf.«
    Meine Schwester Lauren hatte uns sechs Jahre vorher verlassen, zwei Jahre nach Dad. Sie war erst siebzehn gewesen, und Gott allein weiß, was sie alles erlebt hatte, während sie fort war. Jedenfalls gab es danach im Haus erheblich weniger Gezeter, was ich gut fand. Die Schreiereien, zu denen es danach immer noch kam, richteten sich nun aber leider stets gegen mich. Vor ungefähr sechs Monaten war Lauren nach Clayton zurückgekehrt. Sie war von wer weiß woher per Anhalter gekommen und hatte Mom reuevoll nach einem Job gefragt. Die beiden sprachen immer noch nicht viel miteinander, und Lauren besuchte uns nie und lud uns auch nicht zu sich nach Hause ein. Immerhin arbeitete sie seitdem als Empfangsdame im Bestattungsunternehmen und kam recht gut mit Margaret zurecht.
    Mit Margaret kamen wir eigentlich alle gut zurecht. Sie war die Gummiisolierung, die verhinderte, dass unsere Familie Funken schlug und einen Kurzschluss erlitt.
    Mom rief Margaret an, während wir unsere Pizza aufaßen, und Margaret rief anscheinend Lauren an, denn beide waren schon da, als wir endlich nach unten in die Leichenhalle kamen. Margaret trug ihre Arbeitskleidung, während Lauren sich für den Samstagabend in der Stadt aufgedonnert hatte. Ich fragte mich, ob wir sie bei irgendetwas gestört hatten.
    »Hi, John«, begrüßte mich Lauren. Hinter dem gediegenen Empfangstisch im Büro wirkte sie ziemlich deplatziert. Sie trug eine glänzende schwarze Plastikjacke über einem grellen Tanktop, die Haare wallten im Stil der Achtzigerjahre wie eine Kaskade herab. Vielleicht fand in irgendeinem Klub eine Oldienacht statt.
    »Hi, Lauren«, antwortete ich.
    »Sind das die Dokumente?« Mom spähte ihr über die Schulter.
    »Ich bin fast fertig«, bestätigte Lauren, und Mom ging nach hinten.
    »Ist er schon da?«, fragte ich.
    »Sie haben ihn gerade abgeladen.« Meine Schwester blätterte ein letztes Mal durch den Papierstapel. »Er ist schon hinten bei Margaret.«
    Ich wollte gehen.
    »Kommst du klar?«, fragte sie. Ich wollte unbedingt den Toten sehen, drehte mich aber noch einmal zu ihr um.
    »Geht so. Und du?«
    »Ich lebe nicht bei Mom«, antwortete sie. Wir schwiegen einen Moment lang. »Hast du was von Dad gehört?«
    »Nicht mehr seit Mai«, sagte ich. »Und du?«
    »Nicht mehr seit Weihnachten.« Schweigen. »Die ersten beiden Jahre hat er mir im Februar noch Valentinskarten geschickt.«
    »Wusste er denn, wo du warst?«
    »Ich hab ihn manchmal um Geld gebeten.« Sie legte den Stift beiseite und stand auf. Ihr Rock passte zur Jacke, glänzendes schwarzes Plastik. Mom hasste es vermutlich, und genau deshalb hatte sich Lauren offenbar diese Klamotten gekauft. Sie stapelte die Papiere akkurat, und dann gingen wir zusammen nach hinten.
    Auf dem Tisch lag ein hellblauer Leichensack. Beinahe wäre ich losgerannt und hätte den Reißverschluss geöffnet. Lauren gab Mom die Dokumente, und Mom schaute kurz hinein, unterschrieb ein paar Blätter und überreichte den ganzen Stoß dem Gerichtsmediziner.
    »Danke, Ron. Gute Nacht.«
    »Tut mir leid, dass ich euch das so spät am Abend zumuten muss«, sagte er. Er sprach mit Mom, starrte dabei aber Lauren an. Er war groß und hatte sich die schwarzen Haare glatt zurückgekämmt.
    »Kein Problem«, beruhigte Mom ihn. Ron klemmte sich die Papiere unter den Arm und ging durch den Hinterausgang hinaus.
    »Jetzt braucht ihr mich ja nicht mehr«, sagte Lauren. Sie lächelte Margaret und mich an und verabschiedete sich mit einem höflichen Nicken von Mom. »Viel Spaß noch.« Sie ging zum vorderen Büro, und dann hörte ich, wie sie die Vordertür zudrückte und von außen abschloss.
    Die Spannung brachte mich fast um, aber ich wagte kein einziges Wort zu sagen. Mom hatte mich nur widerwillig mitgenommen, und wäre ich ihr allzu begierig vorgekommen, hätte sie mich vermutlich gleich wieder hinausgeworfen.
    Mom warf einen Blick zu Margaret hinüber. Wenn sie Zeit hatten, sich zurechtzumachen, waren die beiden einander nicht mehr sonderlich ähnlich, aber auf diese Weise aufgescheucht, in schlichter
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