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Ich bin dann mal alt

Ich bin dann mal alt

Titel: Ich bin dann mal alt
Autoren: Johannes Pausch , Gert Boehm
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Laufe seines Lebens bei sich entwickeln kann: Gleichmut – nicht Gleichgültigkeit.
    Aus den Erfahrungen von Freude und Leid kann sich die höchste Form von Menschsein entwickeln: Nächstenliebe. In einer Krankheit entfalten Menschen ihre Fähigkeit zu gegenseitiger Hilfe, zu Solidarität und Mitgefühl; die Schwäche des anderen ist der Nährboden, auf dem Liebe und Hilfsbereitschaft wachsen können. Erfahrungsgemäß rücken Menschen, ja ganze
Völker im gemeinsam erlebten Glück oder im Leid besonders eng zusammen – die deutsche Wiedervereinigung 1989 ist dafür ebenso ein Beispiel wie die Hilfsbereitschaft nach Naturkatastrophen.
    Leid kann man nicht begründen oder rechtfertigen, aber es lässt sich verwandeln – durch Solidarität, Liebe und Hingabe. Insofern ist Leid auch nicht sinnlos: Es stellt für den Menschen eine Chance zur Transzendenz dar, weil er es umwandeln kann. Wenn irgendwo Leid entstanden ist, darf niemand wegschauen, sondern allein oder gemeinsam mit anderen muss man versuchen, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen, den Schmerz zu lindern, ihn auf eine andere Ebene zu transformieren.
    Es wäre falsch, Leid zu verachten – im Gegenteil: Vor dem persönlichen Leid eines Menschen, vor dem Schicksal eines Landes, vor dem von einer Naturkatastrophe heimgesuchten Bergdorf und vor allem vor den betroffenen Menschen muss man Ehrfurcht haben. Erklärungsversuche, warum es dazu gekommen ist, bringen wenig, meist nur rationale oder technische Begründungen. Viel wichtiger ist es, dass man in seiner eigenen Grundhaltung eine Ehrfurcht vor dem Leid und für die betroffenen Menschen entwickelt – unabhängig von Ursache und Schuldfrage. Die Polizei, die Feuerwehren und all die anderen Hilfsorganisationen machen es tagtäglich vor: Sie kommen und helfen, ohne lange zu fragen, wer das Unglück verursacht hat. Das wird später geklärt!
    Die Umwandlung von Schmerz
    Für alte Menschen ist körperlicher oder seelischer Schmerz ein wichtiges Zeichen des Lebens. Er zeigt an, dass im Körper oder in der Seele etwas nicht in Balance ist – und wird damit zu einem bedeutenden Signal, um eine Krankheit rechtzeitig zu erkennen. Deshalb ist es nicht immer klug, den Schmerz sofort mit Medikamenten zu beseitigen, ihn zu ignorieren oder märtyrerhaft zu ertragen. Es gilt, die Ursachen zu ergründen – und dann die Leiden entsprechend zu behandeln. Diese Wächterfunktion des Schmerzes wird heute viel zu wenig beachtet.
    Ohne die Erfahrung von Schmerz und Leid kann der Mensch nicht wirklich reifen. So paradox es klingen mag: Körperliche und seelische Verletzungen bringen auch alte Menschen in ihrer Entwicklung weiter. Es ist eine spirituelle Erfahrung, dass Schmerzen einen Menschen läutern und zu bewussten Veränderungen in seinem Leben führen. Um Schmerzen erträglich zu machen, kann man sie auch »opfern« – wie es jene schwangere Frau getan hat, die sich einen Zahn ohne Betäubungsspritze ziehen ließ, um dem Kind unter ihrem Herzen nicht durch die Narkose zu schaden. Für ihr ungeborenes Kind wandelte sie den Schmerz um in Liebe. In der Solidarisierung mit anderen wird Schmerz hingegeben – und bekommt einen Sinn. Wenn es nicht mehr möglich ist, den Körper und seine Schmerzen zu verwandeln, stellt sich der Tod ein. Der Abschied von der stofflichen Hülle ist dann das Tor zu einem anderen Zustand, in dem sich die Sehnsucht des Menschen endgültig erfüllt.

    Geteiltes Leid
    Immer wieder stehen wir vor der Frage: Was ist Leid – und welchen Sinn hat es? Es ist schwierig, darauf eine Antwort zu geben. Ein Leben ohne Leid ist nicht möglich. Damit ist nicht nur manche Wehleidigkeit gemeint, in die der Mensch gerne flüchtet, sondern das tiefe Empfinden der Seele und des Leibes. Es drückt sich auf vielerlei Weise aus und immer betrifft es den ganzen Menschen.
    Deshalb ist Leid auch mehr als ein punktueller Schmerz, so weh es auch tut. Mit Leid verbindet sich ein Gefühl von Ausweglosigkeit. Körperliche oder seelische Verwundungen können meistens geheilt werden – im Leid dagegen scheint es für den betroffenen Menschen keinerlei Hoffnung zu geben. Er fühlt sich der Situation ausgeliefert.
    Wenn du die Ursachen des Leids nicht kennst – zum Beispiel die Sucht nach Drogen, die zerstörerische Depression, die Flutkatastrophe, das Bergunglück –, wie kannst du dann den Weg zur Heilung entdecken? Die Erklärungen, die man auf der Suche nach Ursachen oder Schuldigen findet, reichen meist nicht aus, um
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