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Ich bin dann mal alt

Ich bin dann mal alt

Titel: Ich bin dann mal alt
Autoren: Johannes Pausch , Gert Boehm
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selbst zu einer anonymen Nummer, die auf Versicherungsscheinen, Bankkonten und Behördenformularen »verwaltet« wird.

    Die Sehnsucht nach individueller Lebensgestaltung endet leider oft in einer Sackgasse. Zum Beispiel verführt der weit verbreitete Jugendwahn Männer wie Frauen dazu, ihr Altwerden durch schier unerschöpfliche Verjüngungsmethoden im Sinne des »Anti-Aging-Trends« zu verbergen. Dann wird »Selbstgestaltung« oft verwechselt mit einer Neugestaltung durch den Schönheitschirurgen: Augenlider werden gestrafft, Nasen korrigiert, Falten an Mund und Hals fallen dem Skalpell zum Opfer, es gibt neue Silikonbrüste, Fett wird abgesaugt. Im Jungbrunnen der »Beauty-Klinik« soll die Zeit angehalten oder sogar zurückgestellt werden. Frisch geliftet, grell geschminkt und mit Glitzerschmuck behängt, präsentiert sich dann manche Blondine im Minirock ihren Enkelkindern, die ihre radikal verjüngte Oma kaum noch wiedererkennen.
    Der Ausbruch aus dem verwalteten Leben soll nicht missverstanden werden: Denn die Ermutigung, sein Leben eigenständiger zu gestalten, heißt ja nicht, dass der Mensch plötzlich alle Vorschriften ignoriert und sich zum ungezügelten Lebenskünstler wandelt. Eine Gesellschaft braucht selbstverständlich Regeln, sonst treibt sie auf ein Chaos zu. Niemand darf die Schilder im Straßenverkehr missachten, andere betrügen, verletzen oder töten. Das eigene Leben zu gestalten bedeutet, innerhalb durchaus sinnvoller Regeln und Strukturen Freiräume zu entdecken, die man für sich selbst kreativ nutzen kann. Nur ein Übermaß an Verwaltung ist gefährlich, weil es den Lebensrhythmus der Menschen verändert, und zwar einseitig nach den Vorstellungen der Administration. Bestes Beispiel dafür sind Kliniken und Altenheime: Dort wird der Tagesablauf so geplant, dass er kostengünstig und möglichst reibungslos funktioniert. Ob das morgendliche Wecken oder die festgelegten Essenszeiten dem Patienten guttun, scheint nicht so wichtig zu sein – Hauptsache, der Rhythmus der Verwaltung läuft rund!
Trotzdem sollte sich der alte Mensch von solchen festgefahrenen Strukturen nicht entmutigen lassen, denn solange er lebt, kann er sein Denken, sein Handeln und seinen Tag gestalten. Das gilt nicht nur für jene, die sich allein versorgen oder im Kreis der Familie leben, sondern auch für Pflegebedürftige, die stationär oder mobil betreut werden. Gerade Menschen, die in ihrer körperlichen Bewegung eingeschränkt oder gar gelähmt sind, dürfen sich nicht aufgeben. Denn selbst in verzweifelten Lagen kann der Mensch sein Leben durch sein Denken und Fühlen beeinflussen. Die meisten Menschen haben schon schwierige Zeiten durchgemacht und konnten die Probleme meistern, weil sie ihr Leben voller Zuversicht selbst in die Hand genommen und es nach ihren Vorstellungen gestaltet haben – mit ihrer Erfahrung, mit neuen Ideen und kreativer Kraft.
    Engagement für die Gesellschaft
    Die Anregung zu kreativem Engagement ist für jeden Menschen sinnvoll, zugleich nützt sie auch der gesamten Gesellschaft. So ist zum Beispiel die jahrzehntelange Berufserfahrung frischgebackener Rentner ein Kapital, das der Staat für seine vielfältigen Aufgaben und das Gemeinwohl gut brauchen kann. Daher ist es unverständlich, dass staatliche Einrichtungen, aber auch Wirtschaftsunternehmen oder soziale Institutionen diese beruflichen und persönlichen Erfahrungen aus einem langen Leben nicht besser nutzen.
    Im Alter ist die bewusste Gestaltung des eigenen Lebens besonders wichtig, um nicht zu verkümmern. Dazu gibt es heute vielfältige Angebote: Koch- und Computerkurse, Seniorentreffs, geführte Wanderungen, Museumsbesuche, Kräuterseminare, die Mitarbeit in Vereinen oder moderne Wohnprojekte wie Mehrgenerationenhäuser,
in denen junge und alte Menschen unter einem Dach leben. Noch klüger ist es natürlich, gar nicht erst bis ins hohe Alter zu warten, sondern bereits frühzeitig damit zu beginnen, sinnvolle Aufgaben zu übernehmen und ein Leben nach weitgehend persönlichen Vorstellungen mit eigenen Gedanken und Zielen zu führen.
    Die Überbürokratisierung des Alltags jedenfalls ist unmenschlich, sie kostet Zeit und Nerven, ist teuer und führt die Menschen in eine Erstarrung des Leibes und der Seele.
    Die Altenpflege ist leider in ein Kontrollsystem hineingeraten, das sich vor allem aus gegenseitigem Misstrauen speist. Jeder Handgriff am Patienten muss schriftlich protokolliert werden, damit dem Betreuer bloß kein Cent zu viel
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