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Ich bin dann mal alt

Ich bin dann mal alt

Titel: Ich bin dann mal alt
Autoren: Johannes Pausch , Gert Boehm
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gespritzt.
    Lindenwirtin Josefine Wagner
    Egal, ob wir alt oder jung sind: Unser Leben unterliegt einem Rhythmus – im Körper und in der Seele. Und weil sich Leib und Seele nicht voneinander trennen lassen, ist der gemeinsame Rhythmus so wichtig. Auch das Leben im Alter braucht einen vernünftigen Rhythmus, der dem Menschen eine ordnende Struktur gibt.
    Viele Menschen befürchten, dass sich ihr Körper im Laufe der Zeit nur zum Schlechten verändert, weil er sich mit zunehmendem Alter verbraucht, weil die Kräfte schwinden und immer öfter etwas wehtut. Diese körperlichen Anzeichen gehen einher mit Stimmungen, mit Hochs und Tiefs. Rhythmus und Stimmung gehören zusammen. Sie sind die innere Ordnung für die Einheit von Körper und Seele.

    Tag für Tag wird unser Leben von Rhythmen bestimmt: Der Mensch steht auf, bewegt sich, isst und trinkt, ruht sich aus, legt sich nieder zum Schlafen. Wer seinen Rhythmus nicht beachtet oder sich gar gegen ihn stellt, lebt auf Dauer gefährlich, weil er das Leben der Beliebigkeit überlässt. Das gilt für Menschen in jeder Lebensphase. Deshalb ist es sinnvoll, seine eigenen Rhythmen nicht erst im Alter zu beachten, sondern schon lange vorher. Wer es versäumt hat, seine Rhythmen frühzeitig einzuüben und entsprechend zu leben, braucht aber nicht zu resignieren: Er kann jederzeit damit beginnen und sein weiteres Leben freudvoller und ausgewogener gestalten – eine wunderbare Chance auch für alte Menschen. Sie werden es am eigenen Leib spüren, wenn sie ihr Leben eigenständig gestalten, indem sie bewusst die Rhythmen ihres Lebens wahrnehmen. Denn wenn Leib und Seele in Balance sind, lassen sich selbst kritische Zeiten gut überstehen.
    Ein ausgewogener Lebensrhythmus löst auch die vielen körperlichen und psychischen Erstarrungen wieder auf, die sich im Laufe des Lebens bei vielen Menschen gebildet haben. Leider sind manche alte Menschen und ihre Betreuer in die Hände von bürokratischen Quälgeistern geraten, die alles vorschreiben, verwalten, lähmen. Wenn sich diese Situation verbessern soll, muss das gesamte System von der überzogenen Bürokratie befreit werden; denn die falschen Propheten wollen uns weismachen, dass man für ein sinnvolles Leben eine Unmenge an Formularen und Regelungen braucht. Dieser Trugschluss führt dazu, dass die Menschen übermäßig »verwaltet« werden und häufig keine Chance haben, ihr Leben selbst zu gestalten. Wie Mehltau liegen die bürokratischen Vorschriften über dem Schicksal gerade der älteren Menschen.
    Einen wirklich zufriedenen Lebensabend kann man offenbar nur dann erreichen, wenn man sich aus den Fängen der Bürokratie
befreit und schon zur Lebensmitte einen Weg einschlägt, der nicht im administrativen Gestrüpp endet, sondern auf Schritt und Tritt spirituelle Impulse gibt. Wer erst im Alter anfängt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und sinnvoll zu gestalten, hat es schwer. Einsicht kommt dann, wie die Entwicklung zeigt, in den meisten Fällen zu spät; denn der alte Mensch ist längst in die Fänge des Systems geraten. Als besonders deprimierend erweist sich dabei, dass »das System« selbst überhaupt keine bösen Absichten verfolgt, sondern im guten Glauben handelt, den Alten einen angenehmen Lebensabend zu bereiten. Aber in der Realität entpuppt sich dieser Wunsch meist als Illusion.
    Der Mensch ist ein spirituelles Wesen. Er spürt besonders im Alter, dass er zwar eine gewisse materielle Sicherheit braucht, weil seine Kräfte und seine Gesundheit allmählich schwinden – doch er hat Angst davor, in eine fremdbestimmte Versorgungs-maschinerie hineinzugeraten, die ihm jede Eigengestaltung versperrt. Glücklicherweise lebt die Mehrzahl der alten Menschen nicht in Heimen, sondern noch im Kreis ihrer Familien oder kommt allein zurecht. Aber auch diese Menschen sollten sich immer wieder mit der Frage auseinandersetzen, ob sie ihr früheres Leben wirklich bewusst gestaltet oder sich selbst nur »verwaltet« haben. Es ist lohnenswert, vor dem Einschlafen darüber nachzudenken, ob es tagsüber gelungen ist, ein eigenes Leben zu führen – dies mit Blick auch auf die ganz einfachen Dinge: beim Kochen, bei den Hausarbeiten, in der Strukturierung des Tages, in der Beziehung zu anderen. Denn allzu leicht tappt der Mensch in Fallen und versorgt sich gedankenlos mit Fertiggerichten, vertraut blind jeder Tablette und lässt sich widerstandslos von allen möglichen Menschen und Ratschlägen steuern. So degradiert er sich
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