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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich
Autoren: Penny Hancock
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ganze Welt wurde dunkel. Wie jedes Mal, wenn ich Seb und Jasmine zusammen sah. Mein Verstand schaltete sich aus. An diesem Tag, in diesem Augenblick fühlte ich mich so einsam wie noch nie.
    Ich stand reglos da und starrte zu ihnen hinauf. Seb sah mich zuerst. Unsere Blicke trafen sich. Mein Gesichtsausdruck musste ihn überzeugt haben. Er ging zu Jasmine, die ihre Beine über die Mauer baumeln ließ, und schubste sie. Ihr Kleid bauschte sich wie ein gelber Fallschirm, als sie schreiend herunterfiel und mit einem Bauchklatscher in der warmen Flut landete. Seb sprang sofort hinterher, als wollte er sie retten. Stattdessen ließ er sie zwischen dem Abfall herumrudern und schwamm zu der Stelle, an der die hellbraune Brühe gegen die obersten Treppenstufen schwappte. Er wuchtete sich hoch.
    »Sonia«, rief er, und ich ging zu ihm. Er griff nach meiner Hand und zog mich herunter. Das Wasser sickerte in meine Jeans, aber das war mir egal. Seb biss mir in den Hals, und ich schlang die Arme um ihn. Sein Mund wanderte nach oben und presste sich so wild auf meine Lippen, dass es schmerzte. Er drückte mich herunter, bis mein Hinterkopf auf einer steinernen Treppenstufe lag und mein Haar im Wasser trieb, dann legte er sich auf mich. Ich schloss die Augen und achtete weder auf die Kälte noch auf die harten Stufen, die sich mir in den Rücken drückten, als er sich so weiterschob, dass sich unsere Körper zwischen Stein und Wasser eng aneinanderschmiegten. Irgendwann hörten wir Jasmine auf dem Weg über uns entrüstet plärren.
    »Wie konntest du es wagen? Wie konntest du nur?«
    Sollte sie doch sagen, was sie wollte. Jetzt würde Seb mich nie mehr verlassen.
    Wir müssen stundenlang dort gewesen sein, denn bis zur Dämmerung herrschte Ebbe. Ich lag im Schlamm, und Seb schaufelte den klebrigen, braunen Matsch händeweise auf mich, angefangen bei den Füßen. Der Schlamm wärmte wie eine Decke, er wurde erst kalt, als das Wasser zurückging und er in der Abendluft trocknete. Seb ging mit dem Schlamm weiter die Beine hinauf, auf die Oberschenkel, über den Bauch bis zum Hals. Ich wollte bei ihm das Gleiche machen, damit er auch dieses eigenartige Gefühl kennenlernt, wenn der kalte Schlamm auf der Haut trocknet und warm wird, aber ich bekam es nicht richtig hin, und am Ende lag ich einfach da und ließ ihn machen, was er wollte. Als er fertig war, stand er auf und lachte.
    »Der Tollund-Mann«, sagte er.
    »Wer ist das?«
    »Ein Mann, den sie nach zweitausend Jahren im Moor gefunden haben. Er ist nicht verwest. Er ist nie alt geworden. Das bist du.«
    Ich sehe Alicia auf der Eisentreppe an. Sie fängt an zu erzählen.
    »Die Polizei glaubt, Helen hätte Jez an diesem Morgen irgendwie aus dem Weg geschafft und dann behauptet, sie hätte ihn nachmittags gesehen. Wie schrecklich. Das ist echt unheimlich! Helen hätte Jez nie was getan! Aber laut Maria glaubt die Polizei, sie hätte ein Motiv gehabt. Wegen ihrer Geschichte. Marias und Helens Geschichte, meine ich. Ich denke halt, wenn ich Jez finde, kann ich beweisen, dass sie sich irren. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Helen hätte Jez nie was angetan. Hätte sie nicht, oder? Ich weiß ja, dass sie viel trinkt. Und sie hat gelogen, als sie gesagt hat, sie hätte gearbeitet. Aber sie ist doch harmlos, oder?«
    Einen Moment lang sehe ich sie nur an.
    »Geh nach Hause, Alicia. Du bist für diese ganze Sache zu jung. Überlass die Arbeit der Polizei.«
    Ihre großen, grünen Augen schimmern, als sie mich ansieht, und ich fürchte, sie weint gleich wieder.
    »Da ist Matt. Unsere Zeit ist um.«
    Draußen neben dem Fluss sage ich: »Jetzt geh, kümmere dich wieder um die Schule oder was du sonst machst. Versuch, es zu vergessen, lass die Erwachsenen alles regeln.«
    Ich sehe ihr nach, wie sie verloren den Fußweg entlangläuft, an meinem Haus vorbei und weiter zur Universität. Dabei spüre ich einen Stich im Herzen, dass es wehtut.
    Ich verrate Freundinnen nicht gerne. Aber Helen ist schon tot. Und die anderen haben ihre Schlüsse eigentlich schon gezogen. Ich gehe direkt zu meinem Auto und fahre zu ihr. Das Haus habe ich jahrelang nicht mehr betreten, zuletzt, als Kit fünfzehn oder sechzehn war. Ich folge dem Weg zur Tür, der immer noch nach gewöhnlichem Liguster riecht, und klopfe an. Einer von Helens Söhnen öffnet. Er lehnt sich in die Tür, als wäre er es nicht gewohnt, seinen massigen Körper aufrecht zu halten. Sein strohblondes Haar hängt ihm in das von Akne
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