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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich
Autoren: Penny Hancock
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sind natürlich nach Genf gezogen. Von ihnen höre ich nur hin und wieder etwas.
    Ich setze an, um ihm zu erklären, dass es nicht funktioniert hätte, auch wenn die Polizei nicht am Ende durch Maria und Mick und Alicia gefolgert hätte, dass Jez im Flusshaus sein musste. Was ich wollte, löste sich unter meinen Händen auf. Aber ich bringe die Worte nicht heraus.
    Also fragt er mich, was in der Nacht passiert ist, in der ich ihn habe gehen lassen. Und ich versuche, es ihm zu erzählen.
    Es war beinahe dunkel, als ich zurück ins Musikzimmer ging. Ich hatte die Jolle an die Kette neben der Steintreppe gebunden. Die Flut hatte eingesetzt. Jez kauerte reisefertig im Rollstuhl. Als ich ihn nach draußen und auf den Fußweg schob, sackte er vornüber, aber ich hatte die Ruder über die Armlehnen des Rollstuhls gelegt. Ich fuhr mit ihm über den Weg, in den dunklen Schatten des Kohlenanlegers bis zu der Treppe, an der mein Boot wartete. Ich fühlte mich leicht und furchtlos. Anders als in der Nacht, in der ich Helens Leiche in den hungrigen Fluss geworfen hatte, entsetzt von dem, was ich da tat. Das rötliche Leuchten war längst verflogen. Es war dunkel. Von den Häusern am anderen Ufer drangen orangefarbene Lichter ins Wasser. Die Jolle war am oberen Ende der Treppe angebunden und wippte sanft auf der Springflut, als wartete sie ungeduldig auf uns.
    Er glitt problemlos ins Boot. Den Rollstuhl ließ ich an der Treppe stehen, er wurde nicht mehr gebraucht. Irgendwer würde ihn mitnehmen, auf dem Fußweg blieb nichts zurück. Er würde auf dem Markt in Deptford landen, oder irgendeine verlorene Seele würde ihn zum Einkaufen oder als Kinderwagen benutzen.
    Ich kletterte hinter ihm in das Boot und legte die Ruder in die Dollen. Dann brauchte ich eine Weile, um ihn in die richtige Position zu bringen. Den Gips hatte ich ihm abgenommen. Seine Haut war noch warm von dieser Hülle und glatt von der Vaseline. Ich legte ihn symmetrisch hin, den Kopf in den Bug, die Füße beinahe bis zum Heck. Es war ein kleines Boot.
    Mit dem Ruder stieß ich uns ab. Wir fuhren leicht auf dem dunklen Wasser flussaufwärts, wie ich es wegen der Flut vorhergesehen hatte. Die Nacht war mild. Eine dieser Wetterkapriolen im Februar, wenn man glaubt, es würde schon Frühling. Die Pubs waren voll, auf den Holzterrassen standen Leute. Im Vorbeifahren hörte ich Gelächter und Gesprächsfetzen. Ich kannte alle Pubs von den Jahren, die ich auf dem Fluss verbracht hatte, das Trafalgar, das Prospect of Whitby im Norden, das Mayflower im Süden. Bei jedem, an dem wir vorbeifuhren, spiegelten sich Erinnerungen an Seb und mich wie Lichter im Wasser. Während ich flussaufwärts ruderte, ließen die funkelnden Lichter von beiden Ufern das Wasser glitzern, das von den Rudern tropfte. Ich verspürte einen tiefen Frieden. Jez lag ausgestreckt zu meinen Füßen. Ich wünschte mir, diese Reise würde ewig dauern. Sanfte Wellen trieben über den Fluss. Es war vollkommen, zusammen mit Jez im Boot zu sein. Als die Gezeiten wechselten, trieben wir zurück nach Osten.
    Wir erreichten das nördliche Ufer, wo die Straße über das Wasser ragte, und ich brachte uns durch die Pfähle in ihren Schatten. Heutzutage würden scheußliche, welke Blumenkränze die Stelle kennzeichnen. Aber wir haben sie nicht kenntlich gemacht, nachdem sie Seb von dem Seil um seinen Hals befreit hatten. Dem Seil, das ihn erdrosselte, während er rief, ich solle nicht loslassen. Als das Floß in der Flut unterging. Ich zerrte in der Dunkelheit an dem Seil. Das Kielwasser des vorbeifahrenden Wasserbusses spülte über ihn hinweg, und ich zog fester, damit er nicht weiter von mir weggerissen wurde. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das Seil, an dem ich zog, ihn erwürgte.
    »Zieh, Sonia«, rief er. »Zieh. Halt fest. Hilf mir.« Und das tat ich. Ich zog, um ihm das Leben zu retten.
    Ich halte inne. Blicke auf. Jez ist stumm gegangen, ohne sich zu verabschieden.
    Es ist komisch, manchmal glaube ich, ich könnte den Fluss hier hören, obwohl sie sagen, das sei nur meine Einbildung, zwischen hier und dort würden einige Kilometer Schnellstraße liegen. Dann die Gewerbegebiete und weitere Vororte, bevor man zu dem Park kommt, von dessen höchster Stelle man an einem schönen Tag mitten im Grünen ganz London überblicken kann. Erst dann erahnt man den Fluss zwischen dem Queen’s House und den grässlichen Bauten aus den Achtzigern am anderen Ufer, hinter denen Canary Wharf aufragt. Es ist immer noch ein
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