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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich
Autoren: Penny Hancock
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weiteren Schluck ist sein Glas leer. Ich schenke ihm nach.
    »So würde ich auch gern wohnen«, sagt er. »An der Themse, rechts ein Pub, um die Ecke der Markt. Sie haben hier alles. Musikläden. Clubs. Warum wollen Sie umziehen?«
    »Ich gehe nirgendwohin«, versichere ich ihm.
    »Aber Ihr Mann hat auf der Party …«
    »Ich werde das Flusshaus nie verlassen!«
    Das kommt schroffer, als ich wollte. Doch diese Dinge höre ich nicht gerne. Greg findet, dass wir umziehen sollten, das stimmt, aber wir sind uns nicht einig. »Niemals. Das könnte ich gar nicht«, sage ich sanfter.
    Er nickt.
    »Ich wollte aus dieser Gegend auch nicht weg. Aber Mum meinte, London wäre schlecht für mein Asthma, Greenwich besonders. Das war mit ein Grund, warum wir nach Paris gezogen sind.«
    Dunkle Haarsträhnen fallen ihm über ein Auge. Er wirft sie zurück und sieht mich unter langen, perfekt geformten schwarzen Augenbrauen her an. Mir fällt sein geschmeidiger Hals mit dem flachen Adamsapfel auf. Die dreieckige Vertiefung am Übergang von der Kehle zum Brustbein. Auf seiner Haut liegt ein Schimmer, den ich gerne berühren würde. Körperlich ist er erwachsen, aber alles an ihm ist strahlend und neu.
    Ich möchte ihm erzählen, dass ich im Flusshaus bleiben muss, um Seb nahe zu sein. Irgendwo in den Wogen des Flusses, in den täglichen Gezeiten ist er immer noch da, ein Aufblitzen von buntem Öl auf der Oberfläche. Ein Kräuseln, eine Luftblase, ein Rauschen bringen ihn zurück. Das habe ich noch nie jemandem erzählt. Nur wenige Menschen würden es verstehen, und um das Klischee zu bemühen: Seit damals ist viel Wasser die Themse runtergeflossen. Ein ganzes Leben. Ich bin sicher, dass Jez es verstehen würde. Aber ich lasse den Augenblick verstreichen. Etwas hält mich davon ab, es ihm zu erzählen. Es ist viel zu nah, als dass ich es scharf sehen könnte. Stattdessen sage ich: »In Paris zu wohnen ist bestimmt aufregend.«
    »Es ist ganz nett. Aber mir fehlen meine Kumpel und die Band. Bald komme ich sowieso zurück. Hab mir Oberstufen-Colleges angesehen. Wo man Musik belegen kann.«
    »Hat deine Tante schon erzählt.«
    »Helen?«
    »Ja.«
    Ich bin etwas irritiert, dass er sie Helen nennt. Das klingt so vertraut. Wie albern. Niemand sagt mehr »Tante«. Was habe ich denn erwartet?
    »Hast du schon eine Schule gefunden, an der du dich bewerben willst?«
    Wie er das Gesicht verzieht, zeigt mir, dass er keine Lust hat auf diese Art von Gespräch, in dem Erwachsene fragen, was er mal werden will. Für solches Gerede ist er zu ungestüm. Trotzdem denke ich: Ich könnte dir helfen. Theater, Musik, das ist meine Welt.
    »Alle sagen immer ›oh, Paris‹, aber eine Stadt ohne Freunde ist Mist. Ich mag London lieber. Irgendwie kann es keiner begreifen, wenn ich das sage.«
    »Ich verstehe das«, sage ich.
    Die Marmelade auf dem Herd geliert bereits. Ich sollte den Trichter holen und sie in Gläser füllen, aber ich muss auf meinem Stuhl bleiben, in seinem Blickfeld.
    »Wenn du willst, kannst du rauflaufen und dir das Album holen«, sage ich. »Es ist im Musikzimmer, oben neben der Treppe.«
    »In dem Zimmer mit dem Keyboard?«
    Ach richtig. Mir fällt ein, dass er schon einmal hier war, vor ein oder zwei Jahren mit Helen und Barney. Das war im Sommer. Seine Stimme eine Oktave höher, die Wangen gerötet. Mit einem Mädchen, das ihm nicht von der Seite wich. Alicia. Damals habe ich ihn kaum wahrgenommen.
    Er rührt sich nicht.
    »Machen Sie immer noch was mit Schauspielern und so?«, fragt er. »Echt irre.«
    »Was?«
    Als er grinst, wird sein Mund breiter, als ich erwartet hätte. Ich muss mich an der Stuhlkante festklammern, um die Fassung zu wahren.
    »Irre. Cool. Dass Sie so viele Schauspieler kennenlernen. Die ganzen Leute aus dem Fernsehen. Was machen Sie noch mal?«
    Ich bilde Stimmen aus, antworte ich. Er will wissen, was das bedeutet, was man dabei macht. Ich versuche zu erklären, wie die Stimme eine Bedeutung unterstreichen kann, wenn Worte nicht ausreichen. Im Gegenzug kann sie dem widersprechen, was tatsächlich gesagt wird. Das ist natürlich für Schauspieler nützlich, aber auch im normalen Leben.
    Während ich rede, hört er auf eine sonderbare Art zu, die mich verwirrt. Er hört so zu wie Seb früher, die Augen halb geschlossen, auf den Lippen ein leises Lächeln. Um sein Interesse nicht zu zeigen.
    Die Weinflasche haben wir beinahe geleert. Die Marmelade ist im Topf sicher schon erstarrt.
    »Sie kennen bestimmt ein paar
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