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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich
Autoren: Penny Hancock
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gesenkten Köpfchen vor dem unverhofften Grün verschlug mir den Atem, und ich lief schnell nach Hause, um meinen Fotoapparat zu holen. Bis ich wieder draußen war, reichte das Licht nicht mehr, und am nächsten Tag war der Schnee zu Matsch geworden. Ich hatte Angst, der Verlust dieses Bildes würde an mir nagen. Vor so etwas muss ich mich in Acht nehmen. Vor Dingen, die ich bedauere, die sich in mich graben und mich auffressen.
    Das Altersheim meiner Mutter liegt zehn Busminuten entfernt. Sie ist dort eingezogen, als das Flusshaus zu viel für sie wurde, als ihr Verstand Aussetzer bekam und ihr Körper sie langsam im Stich ließ. Während ich eilig über den weichen Teppich im Flur laufe, versuche ich, nicht die Küchendüfte aus den einzelnen Wohnungen einzuatmen. Max, der hier auch seine Mutter besucht und zu so etwas wie einem Freund geworden ist, kommt aus Nummer 10. Fröhlich winkend wünscht er mir einen guten Morgen, also winke ich zurück. Manchmal frage ich mich, ob Max mich für einen Single hält und mich gerne näher kennenlernen würde. Ein Flirt könnte schon Spaß machen, aber ich habe Greg. Meinen Ehemann. Was auch immer dieses Wort bedeutet.
    »Ich habe dir deine Zeitung und Gin mitgebracht.« In der Tüte, die ich meiner Mutter gebe, liegen außerdem die Slipeinlagen, die ich für sie kaufe. Aus Taktgefühl erwähnen wir beide sie niemals.
    Ich drücke kurz die Lippen auf ihr flaumweißes Haar. Es macht mich betroffen, dass ich mich hinunterbeugen muss, um meine eigene Mutter zu küssen, die früher so tatkräftig war und mich um einen halben Kopf überragt hat. Sie begrüßt mich nicht, als ich ihre Wohnung betrete, sondern wendet mir den Rücken zu und fragt mich, ob ich einen Kaffee trinken möchte. Dann fängt sie von den anderen Bewohnern an.
    »Im Aufenthaltsraum gibt es jetzt einen Filmclub. Aber was die aussuchen. Nur Mist.«
    »Schlag doch selbst mal was vor.«
    »Darauf würden die nicht hören. Das merkt man schon beim Fernsehen. Die würden sich lieber Turniertanzen als einen anständigen Film ansehen.«
    »Was ist mit Oliver? Er macht doch einen netten Eindruck.«
    »Ach, dieser alte Langweiler ist viel zu weibisch.«
    Ich glaube, mit einem neuen Mann in ihrem Leben könnte meine Mutter nachsichtiger werden. Wir würden vielleicht mehr miteinander reden, wie ich es mir bei anderen Müttern und Töchtern vorstelle.
    Ich setze mich in einen ihrer Chintzsessel vor den Balkontüren und lasse mir von der Sonne den Schoß wärmen und die gefrorenen Lippen auftauen. Mutter müht sich bis zur Anrichte vor, wo sie Tassen, Untertassen und eine Kaffeemaschine bereitgestellt hat, eine verschrumpelte Hand auf der Rückenlehne des Sofas, mit der anderen stützt sie sich an der Wand ab.
    »Es ist noch früh. Du hast bestimmt nicht gefrühstückt. Ich habe Kaffee, aber mehr kann ich dir nicht anbieten. Außer Grape Nuts, aber ich weiß ja, dass du das nicht leiden kannst.«
    »Ich brauche nichts, danke. Ich hole mir was auf dem Heimweg.«
    »Dein Vater hat mich ja auf Grape Nuts gebracht. Er meinte, man sollte es vor dem Essen mindestens eine halbe Stunde in Milch durchweichen lassen.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Wenn ich einen anständigen Kühlschrank hätte, so wie im Flusshaus, könnte ich mich mit Kuchen eindecken. So kann ich dir nur ein Garibaldi anbieten. Mehr nicht.«
    Zeit für ein anderes Thema.
    »Neue Tabletten, Mutter?«
    Auf dem Tablett mit ihren Medikamenten steht ein silbernes Tablettendöschen, das ich noch nie gesehen habe.
    »Die hat mir der Doktor zum Schlafen gegeben«, sagt sie. »Das Co-Codamol wirkt ganz gut gegen die Schmerzen, aber die Nächte sind schlimm.«
    »Ja, hast du schon gesagt.«
    »Du weißt ja nicht, wie es ist, so früh morgens aufzuwachen und nicht wieder einschlafen zu können.«
    Natürlich weiß ich es. Die endlosen Nächte, wenn sich die Seele nicht beruhigen lässt. Sie sind zurückgekehrt, seit Kit ausgezogen ist und Greg so oft verreist. Ich liege wach und mache mir Sorgen. Um dich, Mutter, darum, wie ich mit deinem Verfall fertigwerden soll, wo unsere Beziehung von so wenig Liebe getragen wird. Ich mache mir Sorgen um Kit da draußen in der großen, weiten Welt. Und ich bekomme richtig Angst, wenn ich mir vorstelle, dass du Greg gewinnen lässt und er mir das Flusshaus wegnimmt.
    Mit dem Rücken zu mir schenkt meine Mutter Kaffee ein. Ich spüre, wie sie die Schultern anspannt. Ihre weiße Dauerwelle wippt leicht. Ich zucke zusammen. Keine Frage, was jetzt
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