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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich
Autoren: Penny Hancock
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berühmte Leute. Auch Rockstars? Gitarristen?«
    »Rockstars eigentlich nicht. Aber ein paar Leute, die … nützlich sind. Die immer nach frischen Talenten suchen.«
    Er beugt sich vor, die Augen weit aufgerissen und strahlend.
    Das also treibt ihn an.
    »Ich will später mal in einer richtigen Band Gitarre spielen«, sagt er. »Das ist das Größte für mich.«
    »Wenn du die Platte holst, kannst du eine von Gregs Gitarren mit runterbringen. Da oben steht eine nette Sammlung.«
    »Eigentlich muss ich los«, sagt er.
    Natürlich muss er gehen. Er ist ein fünfzehnjähriger Junge. Auf dem Weg zu seiner Freundin, bevor er morgen Vormittag in St. Pancras den Zug nach Paris nimmt.
    »Ich soll sie im Fußgängertunnel unter der Themse treffen, genau in der Mitte zwischen Nord- und Südlondon.«
    »Du sollst? Sagt sie das?«
    »Na ja.« Als er mich ansieht, ist er plötzlich doch nur ein verlegener Teenager.
    »Wir haben die Gehwegplatten gezählt, um die Mitte zu finden«, sagt er. »Eigentlich wollten wir die weißen Kacheln zählen, aber es waren zu viele.«
    »Wie alt ist sie?«, frage ich.
    »Alicia? Sie ist fünfzehn.«
    Fünfzehn. Also hat sie keine Ahnung, dass es nie wieder so sein wird wie jetzt.
    »Ich gehe rauf und hole die Platte.« Er stolpert leicht. Der Wein ist ihm direkt zu Kopf gestiegen. Kit würde sagen, der kann wohl nichts vertragen.
    »Trink noch ein Glas. Ich schenke dir nach, während du oben bist. Geh ruhig. Geh nach oben.«
    Während ich ihn hinauflaufen höre, immer zwei Stufen auf einmal, öffne ich eine zweite Flasche. Eine billige dieses Mal, aber das wird Jez nicht auffallen. Ich fülle sein Glas und gebe einen Schuss Whisky dazu. Über dem Fluss weht eine Wolke weiter, und ein letzter Sonnenstrahl gleitet über den Tisch. Eine Sekunde lang sind die Gläser, die Flaschen und die Obstschale in ein warmes, bernsteinfarbenes Licht getaucht.
    Wieder fällt mir die Marmelade ein, aber ich rühre mich nicht.
    Als das Telefon klingelt, nehme ich ab, ohne nachzudenken. Es ist Greg. Er kommt sofort zur Sache.
    »Ich habe mit Burnett Shaws geredet.«
    »Mit wem?«
    »Der Maklerfirma. Sie sollen das Haus schätzen. Das ist ganz unverbindlich. Aber ich will mal eine Zahl hören, was Ungefähres, dann weiß ich eher, was ich mir hier draußen ansehen kann.«
    Ich bringe kein Wort heraus. Jez ist mit Gregs akustischer Gitarre zurück in die Küche gekommen. Beim Hinsetzen schlägt er sie gegen den Tisch, und sie hallt nach.
    »Was war das?«, fragt Greg. »Ist jemand bei dir?«
    »Nein, niemand. Hör zu, ich will darüber jetzt nicht reden. Du weißt, wie ich dazu stehe. Du kannst doch nicht über meinen Kopf hinweg Entscheidungen treffen.«
    »Wenn wir mal vernünftig darüber reden könnten, müsste ich das auch nicht.«
    Ich beiße mir auf die Lippe. Mir Unvernunft vorzuwerfen ist immer Gregs letzte Waffe.
    Bevor ich widersprechen kann, hat er das Gespräch schon beendet.
    »Die Platte konnte ich nicht finden«, sagt Jez. »Aber ich habe diese Gitarre entdeckt. Darf ich sie mal kurz ausprobieren?« Seine Stimme lockert die Anspannung, die Greg in mir ausgelöst hat.
    »Natürlich. Natürlich darfst du das.« In dem Moment erscheint mir das einfach nur richtig.
    Die nächste Stunde ist für mich die schönste an diesem Abend. Bevor der Alkohol ihn so weit gebracht hat, dass er nicht mehr gehen könnte – selbst wenn er wollte. Wir sitzen zusammen und reden, und er spielt. Er erzählt mir von Tim Buckley. Musik zu machen sei für ihn das Gleiche gewesen »wie zu reden«.
    »Mir geht es genauso«, sagt Jez. »Sie bringen den Leuten bei, wie sie sich mit ihrer Stimme ausdrücken können. Aus dem gleichen Grund spiele ich Gitarre.«
    Er ist gut. Ich wusste, dass er gut sein würde. Er spielt etwas Klassisches, vielleicht von John Williams, etwas, das sprudelt und perlt wie Wasser. Die Gitarre ist eine Verlängerung seines Körpers, die Musik strömt aus seiner Seele. Seine Finger scheinen sich kaum zu bewegen, wenn er die Saiten zupft. Das schwarze Haar hängt ihm ins Gesicht. Als der Alkohol Wirkung zeigt und er nicht mehr spielen kann, stellt er die Gitarre auf den Boden, mit dem Griffbrett an seinen Oberschenkel gelehnt.
    Er sagt mir noch einmal, wie sehr ihm mein Haus gefällt. Der Fluss direkt da draußen. Die Gerüche! Das Licht. Die Geräusche. Hören Sie! Und wir sitzen da und erraten die Klänge, die für mich längst selbstverständlich sind. Das unregelmäßige Schlagen der Wellen gegen die
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