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Hybrid

Titel: Hybrid
Autoren: Andreas Wilhelm
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und sah ihnen zu. Sie schien in Gedanken versunken und lächelte nur selten und stets etwas abwesend.
    Juli tat ihrerseits alles, was sie konnte, um die offenen Wunden und Geschwüre der Indios zu behandeln. Da sie keine Utensilien oder Medikamente hatte, musste sie sich darauf beschränken, der Medizinfrau des Dorfes zu helfen. Sie sammelte Pflanzen, stampfte Blätter und Wurzeln zu Brei, kochte Salben und Tränke und half ihr, einfache Verbände anzulegen und zu wechseln. Sie lernte und staunte, dass die scheinbar so schlichte Medizin der Schamanin so überaus wirkungsvoll war.
    Nicht immer hatten sie Erfolg. Der Zustand einiger Stammesmitglieder verschlechterte sich täglich, und trotz ihrer Bemühungen starben zwei Männer in einem erschreckenden Zustand, übersät und zerfressen von eiternden Beulen, die vermutlich das Blut der Unglücklichen vergiftet hatten. Juli verstand nicht, wie diese vielfältigen Missbildungen und offenkundigen Krankheiten hatten entstehen können. Sie erfuhr, dass einige der Menschen schon seit über einem Jahr verschollen gewesen waren. In dieser Zeit hatte viel geschehen können. Was immer es war, es war ihnen in dem geheimen Labor zugestoßen.
    Es wurde Zeit, die Daten zu sichten, die sich auf Toms Speicherkarte befanden, sie zu verstehen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
    Am Abend des fünften Tages erklärten sie den Dorfältesten, dass sie abreisen und zu ihrem eigenen Camp zurückkehren mussten. Die Reaktionen waren zurückhaltend. Die Enttäuschung war den Indios anzumerken, aber niemand drängte sie zu bleiben, ganz so, als verstünden sie, dass die Fremden weiterziehen mussten.
    An diesem Abend wurde noch einmal gefeiert. Ein großes Feuer wurde entzündet, und bis spät in die Nacht saß das Dorf, Männer, Frauen, Alte und Kinder gemeinsam mit Juli, Marie und Tom, versammelt im Kreis, und es wurden Schalen mit Früchten oder vergorenem Pflanzensaft herumgereicht und Geschichten erzählt. Einige Episoden wurden gesungen, andere als Tanz aufgeführt, es wurde viel gelacht, und sogar in Maries Augen lag ein feiner Glanz, der zeigte, wie ihre Sinne sich jedenfalls für eine Weile von der Vergangenheit lösten und sich auf den Zauber des Moments einlassen konnten.
    Nicht lange nachdem die meisten Kinder mit den Köpfen auf den Schößen ihrer Mütter eingeschlafen waren, löste sich der Kreis auf, und alle gingen in ihre Hütten.
    Als die drei am späten Morgen wieder aufgestanden waren und sich treffen wollten, um das Dorf zu verlassen, trafen sie die Bewohner versammelt auf der Straße vor. Alle wollten sich von ihnen verabschieden. Sie streckten ihre Arme aus, um sie noch einmal zu berühren, sprachen unverständliche Worte des Abschieds und des Segens, und viele überreichten ihnen kleine Geschenke. Ein Armband, eine Halskette, eine Feder. Jedes der kleineren Kinder wollte noch einmal von Tom hochgehoben werden. Die Medizinfrau gab ihnen drei gefüllte Wasserflaschen und an Juli einen ledernen Beutel mit einigen Wurzelstücken darin. Dann sprach sie einige Worte und wedelte jeden der drei mit einem Fächer aus Vogelklauen und Federn ab.
    Schließlich traten fünf Männer aus den Reihen der Dorfbewohner vor. Sie trugen Speere, Bogen und Köcher. Die Medizinfrau segnete sie ebenfalls, bevor sie sich zu Tom, Juli und Marie gesellten. Ganz offenbar sollten die Krieger sie begleiten. Einer von ihnen war stark verkrüppelt, sein Rücken war so buckelig, dass seine Arme fast den Boden berührten. Er hielt den Kopf schief, und als er mit einem Ausruf seinen Arm hob und den Speer nach oben hielt, erkannten Tom und Juli plötzlich, dass es der Mann war, der ihnen Maries Rucksack gegeben und sie zu der teuflischen Anlage geführt hatte, und der Speer, den er hochhielt, war die Waffe, die Tom ihm zum Geschenk gemacht hatte. Die ganzen Tage war er hier gewesen und hatte sich nicht zu erkennen gegeben. Tom verneigte sich vor ihm, und er sah mit Freude, wie der Mann lächelte und vor Stolz fast platzte.
    Dann drehte sich der Buckelige um und ging voraus. Zwei der Krieger folgten ihm, die anderen beiden warteten, bis Tom und die beiden Schwestern sich ebenfalls in Bewegung setzten, und bildeten den Abschluss. Gemeinsam verließen sie das Dorf in Richtung des Waldes.

Kapitel 16
Hamburg, Polizeipräsidium City Nord, 12. August
    H auptkommissar Berger schob die Mappen mit den ausgedruckten Unterlagen zur Seite, die Juli und Tom ihm überreicht hatten, und beugte sich
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