Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
Autoren: Hansjörg Schneider
Vom Netzwerk:
Basel zog. Er hat sich mehrmals am Rhein vorn in der Drogenszene herumgetrieben. Ich habe das beobachtet. Dann habe ich ihm klipp und klar meine Meinung gesagt, dass es nämlich von Dummheit und Feigheit zeuge, das eigene Leben einfach so davonschlitteln zu lassen, als wäre es ein fremdes. Ich habe ihm das deutlich, aber anständig gesagt. Er hat mir zu meiner großen Freude geglaubt. Er hat gemerkt, dass ich recht habe und es gut meine mit ihm. In der letzten Zeit gibt er mir zur schönsten Hoffnung Anlass.
    Einen großen Anteil an der Wende zum Guten hat überdies Denise Zaugg. Sie erinnert mich in vielem an meine Mutter, obschon sie eine recht ausgefallene Frisur hat. Ich habe auch sie in meinem Testament berücksichtigt.
    So bleibt mir zum Schluss nur noch der Dank. Mein erster Dank gebührt meiner Mutter, aus obgeschilderten Gründen. Mein zweiter Dank gebührt dem Herrgott im Himmel droben, wenn es ihn gibt. Das weiß niemand genau. Mein dritter Dank gehört der namentlich ungenannten Dame, die mich in jungen Jahren eine kurze Zeit geliebt hat. Das war der Höhepunkt in meinem Leben. Mein vierter Dank gebührt meinem Schutzengel, der mich durch alle Fährnisse des Lebens geleitet und gesund in ein heiteres Alter geführt hat.«
    Es folgte noch ein Satz, nur einer allein auf einer neuen Seite, doppelt unterstrichen: »Wer helfen will, macht sich schuldig.«
    Der Zug fuhr ein in die Industriestadt Troyes.
    Hunkeler war in sein Abteil zurückgegangen, das blaue Heft sorgsam in der Hand tragend. Es war sein Schatz, den er eigenhändig gehoben hatte. Ein Vermächtnis, an ihn persönlich gerichtet, als hätte es sein Vater geschrieben. Er würde sich äußerst ungern von ihm trennen. Aber irgendwann würde es wohl sein müssen.
    Welch eine Lebenskraft, dachte er, als draußen die verrußten Mauern vorbeiglitten, schwärzliche Backsteinhäuser mit engen Hinterhöfen. Was für ein Optimismus, welch ein Gottvertrauen, auch wenn es diesen Gott vielleicht nicht gab. Aber den Schutzengel, den gab es. Auch wenn nicht klar war, wer ihn geschickt hatte. Vielleicht die Mutter, vielleicht auch die namentlich ungenannte Dame, die einen Ring ins Grab hatte fallen lassen.
    Der Zug hielt an, es stiegen viele Leute zu. Das Abteil füllte sich bis auf einen Platz schräg gegenüber. Draußen pfiff der Schaffner, der Wagen rollte an und kam dann gleich wieder zum Stehen. Eine seltsame Stille, irgendetwas war los.
    Nach mehreren Minuten tauchten draußen im Gang zwei jüngere Männer auf. Zivilisten, in unauffälliges Grau gekleidet. Aber Hunkeler erkannte sogleich die Ausbuchtung der Schulterhalfter unter ihren linken Oberarmen. Und er sah, dass ihre Nerven aufs äußerste angespannt waren. Einer schaute herein, ein schneller Hundeblick, Typ Madörin. Er schob die Tür wieder zu, und beide verschwanden im Gang Richtung Lokomotive.
    Weitere Minuten verstrichen, niemand im Abteil sagte ein Wort. Dann ging die Tür wieder auf. Herein kam ein junger, zierlicher Mann mit schwarzem Haar, in Shirt und Jeans, ohne jedes Gepäckstück. Er setzte sich auf den noch freien Platz, unauffällig und flink. Er saß da, sehr klein, reglos, als wäre er schon in Basel zugestiegen. Der war auf der Flucht, das wusste Hunkeler sogleich, der zitterte in seinem Herzen vor Todesangst.
    Eine jüngere Frau, eine Dame, die den Platz zum Gang hin einnahm, zog die Tür zu. Sie drehte den Kopf zum neu Eingetretenen, doch der schaute nicht auf. Behutsam legte sie ihre rechte Hand auf sein linkes Knie. Alle sahen das, doch alle nahmen den Blick sogleich wieder weg von dieser feingliedrigen Hand, die auf dem Männerknie liegen blieb.
    Stille, kein Wort. Dann tauchten die beiden Zivilen wieder auf. Sie waren unterwegs nach hinten, von wo der neue Fahrgast gekommen war. Die Tür ging auf, die schnellen Hundeaugen, ein kurzes, ängstliches Zögern, als sie den neuen Fahrgast sahen, aber dann streiften sie die Frauenhand auf dem Knie. Ach so, so war das, ein Liebespaar. Die Tür schloss sich, die beiden Männer verschwanden.
    Die Frau nahm ihre Hand weg. Sie holte eine Zigarette hervor und zündete sie an. Wieder ein Blick zum Nachbarn, sie bot ihm auch eine an. Als sie ihm Feuer gab, zitterte seine Hand.
    Nach weiteren Minuten fuhr der Zug endlich an. Gespannte Stille, es war noch zu früh zum Aufatmen.
    Nach wenigen hundert Metern – die Fahrt war noch nicht allzu schnell – erhob sich der Mann abrupt, riss die Tür auf und verschwand im Gang Richtung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher