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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
Autoren: Hansjörg Schneider
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Gerechtigkeit walten zu lassen. Zumindest sollte man jeden Menschen achten. Schon allein aus Ehrfurcht vor der Schöpfung, deren Kinder wir sind. Ich habe trotz aller Schwierigkeiten meinen Weg gemacht. Unkonventionell zwar, eigensinnig. Aber die Wege Gottes sind eben manchmal verschlungen, wie man so sagt, und die Wege des Menschen auch. Ich bin keine bequeme Stütze des Staates. Aber geachtet bin ich doch, das darf ich behaupten. Besonders hier in der Lorbeerstraße. Sie nennen mich alle Seebär. Ich bin stolz auf diesen Übernamen, weil er mich an meinen damaligen Vorgesetzten und Freund Thor Erikstad erinnert.
    Ich halte Eigensinn für eine gute Eigenschaft, ganz im Gegensatz zur landläufigen Meinung. Viele Leute meinen, es sei das Beste, so zu leben, dass man in keiner Weise aus der Reihe tanzt oder auffällt. Meine Meinung ist das nicht. Ich glaube, es müssen viele Leute auffallen. Man fällt ja nur auf, wenn man etwas Besonderes tut oder ist. Und dann ist das Leben viel einfallsreicher.
    Überdenke ich mein bisheriges Leben, erfüllt mich aber auch eine heitere Freude. Was habe ich nicht alles erlebt und gesehen. Welche Schönheiten habe ich erblickt, zu Wasser und zu Lande. Wie viele großartige Menschen habe ich getroffen, was für wertvolle Begegnungen. Und wie viele Leute habe ich gefunden, uneigennützige, hingebungsvolle, so dass auch ich mich habe hingeben können. Diese Hingabe ist vielleicht der größte Schatz in meinem Leben. Womit ich nicht nur die erotische Hingabe meine. Die auch. Aber nicht nur. Ich meine vor allem die tätige, hilfsbereite Hingabe dem Mitmenschen gegenüber. Sei er jetzt männlich oder weiblich. Die Anteilnahme am Geschicke des andern, des Nächsten, wie es in der Bibel steht. Man ist ja nicht allein auf der Welt, man ist von der Natur aus zur Hilfe verpflichtet. Das ist meine feste Meinung.
    Ich habe stets erfahren, dass unter den Menschen, die nicht auf Rosen gebettet sind, mehr Anteilnahme da war als unter den Menschen von besseren Verhältnissen. Man hilft sich mehr in der armen Schicht. Man drückt auch hin und wieder ein Auge zu, wenn es um Geld geht. Man lacht mehr, und man freut sich mehr. So ist das Leben kurzweiliger, schöner.
    Ich mache mir manchmal Gedanken über mein schönes Heimatland, die Schweiz. Dann komme ich zum Schluss, dass es den Menschen hier einfach zu gut geht, als dass sie sorglos und fröhlich leben könnten. Das tönt fast paradox, ist aber so. Alle haben Angst, dass sie das, was sie besitzen, verlieren könnten. Das macht sie so ängstlich, so griesgrämig. Besitz ist nicht nur ein Grund zur Freude. Er ist auch ein Grund zur Sorge. Das ist jetzt die Meinung eines alten Seebärs. Ich selber besitze so viel, dass ich gerade genug zum Leben habe. Das ist gut so.
    Hätte ich allerdings nicht gespart damals, müsste ich heute am Hungertuch nagen. Da ich erst spät in die Pensionskasse aufgenommen wurde, beziehe ich nur eine minimale Rente. Aber da ich armer Leute Kind bin, habe ich gespart. Armut ist eben auch eine gute Schule für das Leben.
    Allerdings brauche ich nicht viel. Ein Bier ab und zu im Todtnauerhof oder in der Fischerstube. Im Frühling eine Reise nach Paris. Hin und wieder ein Geschenk an eine Freundin. Und der Wellensittich ist mir Lust und Freude.
    Anschließend will ich noch ein Wort äußern zur heutigen Jugend. Ich will nicht klagen. Aber es scheint mir doch, dass ihr die harte Schule des Lebens fehlt. Sie ist zu sehr im Wohlstand aufgewachsen. Deshalb rennt sie jeder Mode nach. Sie hat es nicht gelernt, Armut zu ertragen und zu arbeiten, um die Armut zu überwinden. Sie meint, die gebratenen Tauben müssten ihr unbedingt in den Mund fliegen.
    Was ich überhaupt nicht begreife, sind die jungen Leute am Rhein vorn, die Rauschgift konsumieren. Warum tun sie das, wenn sie doch wissen, was für Folgen das hat? Wollen sie sterben, so jung?
    Ich frage mich, warum das Leben für diese Leute seinen alten, schönen Sinn verloren hat. Ich komme zum Schluss, dass ich es nicht weiß. Vermutlich bin ich zu alt.
    Jedenfalls ist es besser wegzugehen, wenn man noch gesund und kräftig ist, und irgendwo auf der Welt einen neuen Pflock einzuschlagen, als in der Heimatstadt zu verkommen. Man darf sich nie aufgeben, man muss an sich glauben. Wer an sich glaubt, hat einen Schutzengel. Das habe ich persönlich mehrmals am eigenen Leibe erfahren.
    Der junge Silvan, mein Großneffe, den ich über alles liebe, war in elendem Zustande, als er zu mir nach
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