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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
Autoren: Hansjörg Schneider
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Lokomotive.
    »Enfin«, sagte einer, der neben Hunkeler saß. Kurze Blicke, erlöstes Lächeln auf den Gesichtern, es freuten sich offenbar alle.
    Zum Teufel, dachte Kommissär Hunkeler, ich bin Polizist und lasse einen Mann, der offensichtlich gesucht wird, einfach laufen. Ein kurzes Zwinkern zum Zivilen hätte genügt, ein schnelles Zeigen mit dem Finger. Aber nein, er hatte dagesessen wie ein Hornochse, blöde vor sich hinglotzend. Heimlich hatte er sich sogar mitgefreut, dass der Mann entkommen war.
    Etwas aber nahm ihn wunder. Er beugte sich vor und fasste die Dame ins Auge, scharf wie im Verhör.
    »Kennen Sie diesen jungen Mann, Madame?«
    Sie hob erstaunt den Blick, schaute ihn an aus grünen Augen. Was war denn das für eine seltsame Frage? Dann lächelte sie, lieb, wunderschön.
    »Aber nein, Monsieur«, ihre Stimme klang wie süßer Flötenton. »Warum sollte ich ihn denn kennen?«
    Während der Einfahrt in Paris stand er im Gang draußen und schaute hinaus. Die kleinen Häuser der Vorstadt, Gärten, viele Autos. Ein Platz mit einem Bistro, ein Gemüsestand, knallrote Tomaten. Darüber der weite Himmel, im Westen die orange Sonnenkugel, tief im Dunst hängend. Hohe Betonbauten, elegant hingeklotzt. Dazwischen ein Stück Wasser. Dann Häuser aus grauem Bruchstein mit den Mansardenreihen oben, noch aus dem letzten Jahrhundert stammend. Ein kurzer Blick, schräg nach vorn, auf die weiße Sacré Cœur, die an der Stelle errichtet worden war, wo sich die Kommunarden bis zum schrecklichen Ende gewehrt hatten.
    Der Zug glitt in die Halle. Hunkeler stieg aus. Er grinste, er lachte. Zum Teufel, warum? Fast hätte er gejauchzt.
    Warum eigentlich war er so lange nicht mehr hierhergekommen? Die Stadt hatte ihm doch wirklich das Leben gerettet damals in jungen Jahren. Jedenfalls war das eine seiner festen Redensarten, die er immer wieder zum Besten gab, um auf seine traurige Jugend hinzuweisen. In dieser wunderbaren, großen Stadt hatte er tatsächlich zu tanzen begonnen. Er hatte sich nicht aufgegeben, sondern er hatte, so wie das Freddy Lerch riet, zum ersten Mal in seinem Leben begonnen, an sich selber zu glauben. Und er hatte einen Schutzengel gehabt. Warum eigentlich sollte er jetzt keinen mehr haben? Galten im Alter wirklich andere Gesetze?
    Er stieg zur Metro hinunter, Richtung Clignancourt. Die weiß gekachelten Wände, der altvertraute Duft, der Clochard am Boden mit Weinflasche und Hut, alles war da. Das leise Einrollen der Bahn, der Warnton vor dem Zuschnappen der Türen, das Fahren im Bauche der Erde.
    Bei Château Rouge stieg er aus. Er kannte diese Gegend schlecht, er hatte sich damals im Quartier Latin herumgetrieben. Nur einmal hatte er draußen im Norden einen algerischen Freund besucht, der mit seiner Mutter in einer Einzimmerwohnung lebte.
    Oben auf dem Boulevard Barbès wusste er sogleich, dass er hier richtig war. Ein Platz wie im Maghreb, in der weißen Stadt Algier z. B., ein Gedränge wie in der Kasbah. Braune Männer mit der Gehweise des weißen Dromedars, hohe schwarze Frauen, in bunte Gewänder gehüllt, schlafende Kleinkinder auf dem Rücken tragend. Einige hielten die ersten Maiskolben des Jahres feil, weichgekocht, gesalzen. Mais Mais Mais, murmelten sie, als würden sie den Schatz des seefahrenden Sindbad verhökern.
    Er betrat den Markt, immer noch die Reisetasche in der Hand. Es gab kein Entkommen, die Farben waren zu eindeutig, zu klar. Karotten und Gurken, Orangen und Birnen, jede Frucht eine Schönheit. Würste, dunkles Fleisch am Haken, die braunen Blutflecken auf dem weißen Gewand des Metzgers.
    Ein Fischstand war da, halbmeterlange, rote Fischleiber, auf kühles Eis gebettet, noch im Tod eine Pracht. Die hießen Viranos, der Name stand daneben. Der kleine Coq Rouge mit den schwarzen Punkten, tropisch glitzernd. Die dunkel überhauchte Vieille, der Silure mit der flachen Schnauze und den Barten links und rechts. Das war der Wels, der kam aus dem Süßwasser. Dann die braunen Schalenkrebse, einige lebten noch und krabbelten über die toten Artgenossen. Alle diese Wassertiere waren zu Gruppen geordnet, nichts anderes darstellend als sich selbst.
    Hingerissen schaute er zu, wie die Frauen sich über den Stand beugten und mit sicherer Hand auf einen der Leiber zeigten. Der Verkäufer packte zu, ein kurzes, hartes Feilschen, dann ein Nicken der Frau, der Fisch wurde in eine Zeitung gewickelt und verschwand im Einkaufsnetz.
    Im Café Dejean an der Ecke trank er Kaffee. Er nahm das rote
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