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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
Autoren: Hansjörg Schneider
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in den Mund.
    »Grins nicht so blöd«, sagte Madörin, »wir spielen hier nicht die Sittenwächter.« Dann, nach einer Pause, in der er offenbar weitere Folgerungen gezogen hatte, eine trostlose, niederschmetternde Bilanz: »Dieser Einsatz ist also ein totaler Flop. Schinken und Kartoffelsalat und Witwen, und keine Spur von Silvan Lerch. Oder was meinst du?«
    Er schaute zu Hunkeler hinüber, hilflos, aber war da nicht ein verhaltener Vorwurf?
    Da trat der alte Fensterlerch an den Tisch.
    »Darf ich wissen, wer Sie sind? In welchem Verhältnis Sie zu meinem verstorbenen Schwager stehen?«
    »Alte Kameraden«, sagte Lüdi, »aus dem Todtnauerhof.«
    »Sein Tod ist ein schwerer Verlust für uns«, meldete Haller, sorgfältig die Pfeife stopfend. »Niemand konnte so gut Witze erzählen wie er.«
    »So, hat er Witze erzählt? Schau einer an. So hat er sich doch noch geändert. Früher wollte er nichts wissen von Witzen, von Zoten. Er fand sie alle blöd.«
    »Doch, er war eine Witznudel«, behauptete Lüdi.
    »Er war ein großartiger Mensch«, sagte Hunkeler. »Er ruhe kühl.«
    »Wie bitte?« Der Fensterlerch runzelte die Stirn. Kalte, graue Augen. »Wie meinen Sie das?«
    »Ein kühles Grab«, sprach Hunkeler, »in der kalten See. Drei Salutschüsse, dann rutscht die Leiche hinunter und versinkt in der Tiefe. Wir sind alte Kameraden, verstehen Sie? Kameraden zur See.«
    »Ach so?«, sprach der Fensterlerch, »Sie sind auch Wasserfahrer? Wissen Sie, ich habe ja nichts gegen Matrosen. Aber er hat dem Jungen, meinem Enkel, den Kopf verdreht. Das hätte er nicht tun dürfen. Damit hat er Schuld auf sich geladen. Nun ja, er war eben das schwarze Schaf in der Familie. Deshalb ist er ja auch hinab ins Wasser. Sie kennen die traurige Geschichte.«
    Die vier Vereinskameraden nickten. Jawohl, traurig, sehr traurig.
    »Vielleicht ist es Schicksal«, sprach der Fensterlerch, »denn im Alter rächen sich die Sünden der Jugend. Aber was soll’s? Wir wollen trotz allem frohgemut sein.«
    Er ging hinüber zu seinem Tisch, hob das Glas und sprach den Toast, feierlich, mit sonorem Bass. »Wir trinken auf den toten Seemann. Möge ihm unser Herr gnädig sein.«
    Alle hoben das Glas, nur Hunkeler nicht, er nahm einen Schluck Kaffee. Und er bemerkte, wie Madörin lauernd zu ihm hinüberschielte.
    Am Abend ging er mit Hedwig in den Sommereck-Garten. Sie aßen Kalbshackbraten mit Blumenkohl, dazu tranken sie Bier. Der Urnersee an der Hausmauer gegenüber schien merklich kühler geworden zu sein. Ein frischer Wind griff in die Kronen der Kastanien.
    »Wie war es?«, fragte Hedwig.
    »Wie immer«, sagte er. »Unglaublich fade.«
    »Hast du den dunklen Anzug getragen?«
    »Selbstverständlich. Mit schwarzer Krawatte. Hierzulande kommt der Tod schwarz daher.«
    Sie lächelte, warf eine Haarsträhne nach hinten. »Blödsinn. Der Tod hat doch keine Farbe. Schau dieses Grün da oben.« Sie zeigte hinauf in die Kronen. »Das ist Sommer, das ist Leben. Schön, nicht?«
    Er nickte. »Das habe ich heute auch schon gedacht. In der Allee auf dem Hörnli. Im Übrigen will ich nicht mehr vom Tod reden.«
    »Ach so?« Sie schaute ihn prüfend an, nachsichtig wie eine gütige Lehrerin.
    »Schau nicht so blöd«, sagte er.
    Aber sie wusste, was los war. Sie wusste es genau. Er war ihr schlicht ausgeliefert.
    »Du hast also genug getrauert«, stellte sie fest, »du hast alles nachgeholt.«
    »Immer deine dummen Psychologisierungen«, sagte er giftig. »Hör endlich auf damit, ja?«
    Sie beugte sich vor. »Nur keine Angst, lieber Mann. Ich tu dir nichts.«
    Er starrte sie an, böse, aber er schwieg.
    Sie begann, von der Ägäisinsel Santorini zu erzählen. Wie eine Reiseführerin, dachte er, wie die allerletzte Kuh. Sie hatte vor, Anfang August für zwei Wochen hinzufahren. Weiße Häuser mit Blick auf den Vulkan, hoch über dem Meer, das er doch so liebe. Die roten Felsen der Caldera, die Sterne in der Nacht, die Lichterpracht.
    »Einmal«, sagte sie, »einmal möchte ich mit dir ans Meer fahren.«
    »Warum? Ich habe die letzten Tage genug geschwitzt.«
    »Aber dort geht immer eine kühle Brise. Die haucht dir den Schweiß vom alternden Leib. Und du riechst wie in deinen besten Tagen.«
    Wieder prustete er los, sie war einfach umwerfend. Lasst alte Weiber um euch sein, dachte er, mit schweren Oberarmen und festem Nacken, auch wenn es nicht mehr das Gleiche ist. Aber das sagte er nicht laut, sondern er sprach: »Wenn wir uns schon das ganze Jahr
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