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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Leise, um Vera nicht
aufzuwecken, stand er auf. Die Eisfläche auf dem Gartenteich reflektierte matt
die ersten morgendlichen Strahlen einer blassen Februarsonne.
    Als er sich im Bad rasierte, hörte er
Schritte.
    »Brian?«
    »Bin gleich fertig.«
    Teasdale beendete die Rasur und ging in
die Küche. Vera hatte nur ihren Morgenmantel übergezogen und setzte bereits das
Teewasser auf.
    »Du hättest wirklich nicht zu dieser
unchristlichen Zeit mit mir aufstehen müssen.«
    Vera zuckte mit den Achseln. »Was soll’s.
Wir proben ja erst am Wochenende. Und ich kann mich später noch mal hinlegen,
wenn mir danach ist. – Wie immer?«
    »Ja, bitte.«
    Vera schob zwei Weißbrotscheiben in den
Toaster, stellte auch Butter und Orangenmarmelade zu dem Frühstücksgeschirr auf
den Tisch. Dann goss sie den Tee auf.
    Der Colonel setzte
sich. »Ich habe gestern erfahren, dass ich demnächst wieder für ein paar Tage
nach Berlin muss. – Sag mir rechtzeitig Bescheid, falls du deine Meinung ändern
solltest und doch mit willst.«
    »Ich fahre überall mit dir hin, Brian,
aber bitte, bitte nicht nach Berlin!« Sie schüttelte energisch den Kopf.
»Kannst du das denn nicht verstehen?«
    Teasdale beugte sich über den Tisch und
gab ihr als Antwort einen Kuss auf die Stirn.

 
    4. Kapitel
    Die
Villa in Frohnau
     
     
     
    Ein nicht abflauen wollender Ostwind
hatte den Berlinern vor der Jahreswende viel Schnee und ab Januar auch
klirrende Kälte beschert. Über den Häusern am S-Bahn-Damm im Frohnauer
Kasinoweg stiegen im letzten Licht der Winter sonne dünne Rauchfahnen in den Himmel.
Für die Bewohner der Außenbezirke war die Beschaffung von Heizmaterial wegen
des waldreichen Umlands noch einigermaßen unaufwendig zu bewältigen. In den
innerstädtischen Bezirken sah es damit schlechter aus. Außer dem täglichen Brot
waren Holz und Kohlen mehr und mehr zu einer heißbegehrten Mangelware geworden.
    Vor einer Villa mit schmiedeeisernem,
mannshohem Zaun, deren verputzte Straßenfrontfassade Maschinengewehrgarben
zerlöchert hatten, hielt ein zerbeulter Opel. Die Bausubstanz im Reinickendorfer
Vorstadtteil Frohnau hatte zwar in den Endkämpfen auch gelitten, war aber im
Vergleich zu den Verwüstungen im Berliner Zentrum glimpflich davongekommen.
    Der Genosse Oberstleutnant war mit sich
und der Welt zufrieden, als er aus dem Wagen stieg. Der Winter, über den die
Deutschen jetzt stöhnten, entlockte ihm allenfalls ein mitleidiges Lächeln,
denn er war in Sibirien aufgewachsen. Und auch wenn es tatsächlich ungewöhnlich
kalt sein sollte, so spürte er die Kälte nicht. Er trug einen dicken langen
Mantel aus gewachsenem Fell und darunter einen Anzug aus bestem dicken
englischen Tuch.
    Genosse Wladimir Wassilinski stapfte
durch die Schneewehe auf dem Bürgersteig zum Gartentor und drückte auf den
Klingelknopf neben der ebenfalls aus Gusseisen gefertigten Hausnummer. Ein
Türschild, das über den Besitzer oder Mieter der Villa Auskunft geben konnte,
war nicht vorhanden. Ohne sich aufzuhalten, drückte der Russe resolut die
Gartentür auf und stieg vorsichtig die vereisten Stufen zur Villa hoch.
    Auf Wassilinskis Klingeln hin hatte sich
sogleich die Haustür geöffnet. Ein sportlich wirkender Mann Anfang vierzig,
gleichsam in einen eleganten englischen Anzug gekleidet, begrüßte ihn auf
Russisch.
    Horst Brennecke und auch die beiden
anderen Männer im Erdgeschosssalon der Villa, die den Oberstleutnant willkommen
hießen, beherrschten Wassilinskis Muttersprache annähernd perfekt – ein
Umstand, der die Geschäfte vereinfachte, denn das Deutsch des Genossen
beschränkte sich bloß auf ein paar Alltagsfloskeln.
    Wassilinski kam, mit einem Glas Wodka
versehen, sogleich zur Sache. Er hatte den Mantel nur geöffnet und sich in den
Ohrensessel neben dem Kachelofen gesetzt. »Es ist so weit. Morgen Abend könnt
ihr eine Lkw-Ladung Schweinefleisch, eine mit Wurstkonserven und zwölf Kisten
Krimsekt bekommen.«
    Die drei Deutschen nickten zufrieden.
    »Anlieferung wie immer?«, fragte
Brennecke.
    »Ja«, sagte der Genosse Oberstleutnant
und trank das Glas auf ex aus.
    Horst Brennecke füllte augenblicklich
nach und reichte dem Russen einen roten Samtbeutel.
    Wassilinski knüpfte das Verschlussband
auf, zog einen Goldbarren heraus, prüfte kurz den Prägestempel und ließ dann
den blanken Barren in seine Manteltasche gleiten.
    Brennecke räusperte sich. »Wir könnten
demnächst gut Papier gebrauchen.«
    Wassilinski lachte. »Klopapier? Kann
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