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Hulamädchen auf Abwegen

Hulamädchen auf Abwegen

Titel: Hulamädchen auf Abwegen
Autoren: Carter Brown
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der
Bühne beleuchtete. Und genau an dieser Stelle stand Ulani .
Das Bild auf dem Streichholzheft wurde ihr nicht im mindesten gerecht. Sie war
wesentlich schöner. Auch glaubte ich ihr die hundertprozentige Eingeborene.
Jedenfalls sah sie so aus mit ihrem langen nachtschwarzen Haar, das sich zart
wellte, und den graziösen kleinen Füßen, die sich jetzt in einem langsamen
heidnischen Rhythmus zu bewegen begannen.
    Um den Hals trug sie eine hei aus roten Hibiskusblüten und um die Hüften ein
Baströckchen. Falls sie außerdem noch etwas darunter anhatte, sah man es nicht.
Ihre Hüften vollführten ein paar völlig konventionelle Huladrehungen ,
die allenfalls Fitzpatrick zu der Zeit, als Hawaii
entdeckt wurde, hätten reizen können. Mich jedenfalls ließen sie kalt. Mit den
Händen machte sie ein paar anmutige Gesten, die sicher eine so harmlose und
unverfängliche Geschichte erzählten, daß jede Illustrierte sie ganz unbeschadet
auf der dreizehnten Seite hätte abdrucken können.
    Vor lauter Enttäuschung kippte
ich gleich ein weiteres halbes Dutzend Gin-Tonics hinunter und starrte Mayes
vorwurfsvoll an. »Und das soll ein berühmter Originalhula sein?« fragte ich mit
kaum verhehltem Unwillen.
    »Seien Sie nicht so ungeduldig,
Mr. Boyd«, flüsterte Mayes freundlich. »Bis jetzt haben Sie ja noch gar nichts
gesehen.«
    »Wozu ich Ihnen nur
beipflichten kann«, murmelte ich verdrossen.
    Inzwischen beschleunigte sich
der Rhythmus der Musik — und ich sah die Tänzerin plötzlich mit anderen Augen
an. Ihre Füße wurden immer schneller, und ihre Hüften kreisten in zunehmend
gelösterer Hingabe. Die hei um ihren Hals suchte sich ihren eigenen,
unabhängigen Radius. Ich stellte mein Glas vorsichtig auf den Tisch zurück und
beschloß, mich auf den Tanz zu konzentrieren.
    Zwei Minuten später glich ihr
Tanz dem konventionellen Hula ungefähr so wie ein Reisebüroplakat dem Land, das
es darstellen wollte. Er war ursprünglich — und nicht nur das. Er war erdhaft
und führte in direkter Linie zurück zu den Urtrieben der Menschheit.
    Die hei hatte sich vom
Körper gelöst und enthüllte einen kleinen, aber atemberaubend schönen Busen.
Zusammen mit der hei schwang das Baströckchen in der Horizontalen und
ließ ihre schmalen, anmutigen Hüften frei — und manchmal noch etwas mehr. Dann
steigerte sich die Musik zu einem schmetternden Finale. Und Ulani erstarrte von einer Sekunde zur anderen zu einer Marmorstatue, als hätte man
sie vorher aufgezogen und als sei genau mit der Musik ihr Uhrwerk abgelaufen.
    Fünf qualvolle Sekunden lang
stand sie völlig regungslos auf der Bühne, bis sie mit einer geschmeidigen
Bewegung ihr Baströckchen löste und auf den Boden gleiten ließ. Die Musik
setzte wieder auf dem Ton des Schlußakkords ein — und Ulani erwachte zu neuem Leben.
    Falls auch bei diesem Tanz
Alt-Hawaii am Werke war, war Danny Boyd um ein paar Jahrhunderte zu spät
geboren worden. Der Tanz dauerte ungefähr ein, zwei Minuten — oder auch mehr.
Wer achtete bei solchen Anlässen schon auf die Zeit? Und wieder verstummte die
Musik mitten in einem erregenden Krescendo — und Ulani erstarrte erneut zu einer Statue, die wert gewesen
wäre, von einem Gauguin gemalt zu werden. Aber in diesem Fall war Ulani zu spät geboren. Auch die letzte Lampe ging aus und
hinterließ ein heidnisches Dunkel. Als die Lichter wieder aufflammten, war die
Bühne leer — Ulani war verschwunden. Nur ein
ohrenbetäubender Applaus erinnerte noch an den berauschenden Tanz.
    »Sie verstehen jetzt wohl«,
murmelte Mayes mir ins Ohr, kaum, daß sich die Begeisterung gelegt hatte, »daß
man ein Auge auf sie haben muß bei dieser Schönheit und diesem Talent. Wenn sie
tanzt — das haben Sie ja gesehen — , ist sie für alle Männer die Inkarnation
der Hure von Babylon. In Wirklichkeit dagegen ist sie lediglich ein Kind, ein
unschuldiges Kind, das gern tanzt.«
    »Vielleicht sagt sie auch noch
>Daddy< zu Ihnen«, sagte ich zartfühlend.
    Seine unschuldsvollen
Kinderaugen waren ein paar entsetzliche Sekunden lang dunkel vor Haß. »Diese
Bemerkung finde ich nicht im geringsten komisch, Mr. Boyd«, sagte er steif.
»Ich habe redlich versucht, Ihnen Geduld angedeihen zu lassen und Ihnen zu
erklären, warum Sie sie nicht sprechen können und dürfen. Wenn Sie das
inzwischen immer noch nicht begriffen haben, sehe ich keinen Grund, mich noch
weiter mit Ihnen zu unterhalten.«
    »Ich bin Ihnen sehr
verpflichtet für Ihre guten Ratschläge«,
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