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Hüter des Todes (German Edition)

Hüter des Todes (German Edition)

Titel: Hüter des Todes (German Edition)
Autoren: Lincoln Child
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am Monitor.
    «Neu laden!», befahl der Doktor. Ein neues Signal, ein dunkles, beharrliches Piepen, legte sich über die Kakophonie von Geräuschen.
    «Hypovolämischer Schock …», murmelte Deguello. «Wir hatten von Anfang an keine Chance.»
    Sie haben keine Ahnung , dachte der Doktor, und es klang wie aus einer Entfernung von einer Million Meilen. Sie verstehen nicht. Er spürte, wie sich eine einzelne Träne im Augenwinkel sammelte und über seine Wange rann.
    «Geladen!», meldete die Schwester am Defibrillator.
    Er setzte die Paddles auf. Jennifer bäumte sich ein weiteres Mal auf, lag dann wieder still.
    «Keine Reaktion», sagte der Assistenzarzt neben ihm.
    «Das war’s», sagte Corbin mit einem Seufzer. «Schätze, Sie haben alles in Ihrer Macht Stehende getan, Ethan.»
    Der Arzt ignorierte ihn, warf die Paddles beiseite und begann mit einer Herzmassage. Er spürte ihren Körper, unempfänglich und kalt unter den hektischen Bewegungen seiner Hände.
    «Pupillen geweitet und ohne Reaktion», meldete die zuständige Schwester.
    Doch der Doktor achtete nicht auf sie, während seine Herzmassage zunehmend schneller und verzweifelter wurde.
    Die Geräusche im Schockraum, eben noch hektisch und laut, erstarben nun nach und nach. «Keinerlei Herzaktivität», sagte die Schwester.
    «Sie sollten sie für tot erklären», sagte Corbin.
    « Nein! », schrie der Doktor schrill.
    Der ganze Raum bemerkte den Schmerz und die Verzweiflung in seiner Stimme.
    «Ethan?», fragte Corbin unsicher.
    Statt einer Antwort fing der Doktor an zu weinen.
    Alle rings um ihn verstummten. Einige starrten ihn verständnislos an, andere sahen verlegen zur Seite. Alle, bis auf einen der Assistenten, der zur Tür und leise den Korridor hinunter ging. Der Doktor weinte weiter. Er wusste, wohin der Mann wollte. Er ging ein Leichentuch holen.

[zur Inhaltsübersicht]
    1
    Drei Jahre später
    Jeremy Logan war in Westport aufgewachsen, unterrichtete gegenwärtig an der Yale University und hatte eigentlich geglaubt, sich einigermaßen auszukennen in seinem Heimatstaat Connecticut. Doch er war sich sicher, die Landschaft, die er nun durchfuhr, zum ersten Mal zu sehen. Sie war eine Offenbarung. Er war von Groton aus nach Osten gefahren – genau wie es in der gemailten Wegbeschreibung stand –, dann auf die US 1 abgebogen und schließlich kurz hinter Stonington auf die US 1 Alternate. Immer entlang der grauen Atlantikküste hatte er Wequetequock passiert, war über eine Brücke gefahren, die aussah, als wäre sie so alt wie New England, und dann scharf nach rechts auf eine asphaltierte, jedoch nicht ausgeschilderte Straße eingebogen. Augenblicklich hatte er die Mini-Malls und die Touristenmotels hinter sich gelassen. Er fuhr an einer verträumten Bucht vorbei, in der Fischerboote vor Anker tanzten, und erreichte ein verschlafenes Dorf. Es verfügte über einen Gemischtwarenladen und einen Shop für Fischereigeräte, außerdem gab es eine Episkopalkirche, deren Kirchturm drei Nummern zu groß war, und grau geschieferte Häuser mit ordentlichen, weiß gestrichenen Jägerzäunen davor. Es waren weder überdimensionierte SUVs noch ortsfremde Nummernschilder zu sehen, und die Menschen auf den Bänken oder an den Fenstern ihrer Häuser winkten Jeremy zu, als er an ihnen vorüberfuhr. Die Aprilsonne war stark, und die Seeluft hatte einen frischen, sauberen Biss. Ein Schild über dem Eingang zum Postamt informierte ihn darüber, dass er in Pevensey Point angekommen war, einhundertzweiundachtzig Einwohner. Irgendetwas an der kleinen Ortschaft ließ ihn an Herman Melville denken.
    «Karen», murmelte er. «Wenn du dieses Dorf gesehen hättest, du hättest im Leben nicht zugelassen, dass wir uns dieses Sommercottage in Hyannis kaufen.»
    Obwohl seine Frau Jahre zuvor an Krebs gestorben war, unterhielt sich Logan auch heute noch gelegentlich mit ihr. Natürlich war es üblicherweise mehr Monolog als Dialog – wenn auch nicht immer. Zuerst hatte er darauf geachtet, es nur zu tun, wenn er sicher war, dass ihn niemand hörte. Doch dann – als das, was zunächst als eine Art intellektuelles Hobby angefangen hatte, zunehmend zu seinem Beruf wurde – hatte er sich nicht mehr so sehr um Diskretion bemüht. Dieser Tage, und seinem Broterwerb nach zu urteilen, erwarteten die Leute geradezu, dass er ein wenig eigenartig war.
    Drei Kilometer hinter dem Ort zweigte rechts eine schmale Straße ab, genau wie in der Wegbeschreibung angegeben. Logan fand sich in einem
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