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Hüter der Flamme 01 - Die Welt des Meisters

Titel: Hüter der Flamme 01 - Die Welt des Meisters
Autoren: Joe Rosenberg
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er im vorigen Jahr aufgehört hatte. Aber niemand hatte auf Davy und seine Figur, Erik von den Drei Münzen, gewartet, wenn er zu spät kam, was durchaus nicht selten geschehen war.
    James Michael rutschte unruhig in seinem Stuhl hin und her. Seine Hände lagen schlaff in seinem Schoß.
    Nein, sie würden auch nicht auf ihn warten, weil er so ein netter Kerl war, so einen trockenen Humor hatte und immer freundlich lächelte. Dieser monomanische Irre, Karl Cullinane, brachte viel bessere Witze. Der Provinztrampel Walter Slowotski lächelte dauernd, als ob sein Grinsen auf das Gesicht geklebt sei – und alle wollten immer mit Doria z usammensein. Wenn aber von denen einer zu spät kam, hieß es »Schade-aber-deine-Figur-scheint-heute-mit-Grippe-im-Bett-zu-liegen«. Vorige Woche erst war Doria atemlos hereingestürmt. Obwohl sie mit dem Spiel nur fünf Minuten zuvor begonnen hatten, hatte sogar Riccetti Dorias unausgesprochene Versprechungen und Drohungen ignoriert. Doc Deighton hatte ihr nur einen kühlen Blick zugeworfen und vorgebracht, daß Unpünktlichkeit ohne weiteres als feindliche Handlung zu betrachten sei.
    James drehte sich mit dem Stuhl im Kreis und fluchte leise vor sich hin.
    Es war nicht immer so schlimm. Er erinnerte sich, wie er einmal auf den Beförderungsdienst für behinderte Studenten hatte warten müssen. (Die ganze Fahrt hatte er einen Zauberspruch gemurmelt, der den Fahrer in eine Kröte, eine besonders kleine und besonders häßliche Kröte, verwandeln sollte – eine mit einem Auge.) Dann hatte man ihn zu spät in den Aufzug geschoben; im Erdgeschoß war er zu spät herausgekommen und mit seinem mit einer Autobatterie betriebenen Stuhl den Korridor heruntergerast und in Zimmer 109 geschossen – MIT VERSPÄTUNG!
    Niemand hatte etwas gesagt, außer »Tag, James!« und »Fein, daß du da bist, James« und »Fangen wir an«.
    Die Toleranz, das unausgesprochene Mitleid war schlimm gewesen. Nicht zu spielen wäre aber schlimmer gewesen, viel schlimmer.
    Alle Krüppel phantasieren gern. Sie müssen das wie normale Menschen auch; aber sie tun es nicht immer über dieselben Sachen wie normale Leute.
    Wenn man das ganze Leben mit Muskelschwund leben muß, ist man auf eine gewisse Art gut dran. Da gibt es viel mehr Dinge, von denen man träumen kann. Zum Beispiel die Tastatur eines Computers schneller als heiße zehn Wörter pro Minute zu drücken oder im oberen Etagenbett zu schlafen oder sich so schnell zu füttern, das Essen einfach zu verschlingen, daß man irgendwohin rennen kann, oder die Toilette zu benutzen, ohne daß jemand einem den Hintern wischen muß.
    Oder nicht immer so verdammt fröhlich sein zu müssen, weil die Leute einem, nur weil man im Rollstuhl sitzt, alles durchgehen lassen, solange man sie nicht anfaßt.
    Aber das Spiel … ja, das war etwas anderes. Man konnte sagen: »Ich gehe durchs Zimmer, schwinge die Axt und schlage auf den Menschenfresser ein«, und alle reagieren darauf, als ob man es wirklich getan hätte.
    Ein Wunder? Nun, nicht ganz. Eine Sucht? Ja.
    James Michael hob die rechte Hand an den Steuerknopf und fuhr zum langen Tisch in der Mitte des hellen Zimmers hinüber. Er schob sich so nahe heran, daß sein Kinn direkt über der verkratzten Mahagoniplatte war. Er griff in den Leinenbeutel in seinem Schoß, der mit einem langen Stoffstreifen um seinen Hals befestigt war, und holte eine kleine Plastiktüte heraus, die er auf die Tischplatte legte.
    Und das ganze … Wunder hing von dieser Tüte ab und den Würfeln darin. Da waren die Standardwürfel mit sechs Seiten für den Angriff und ein zwanzig seitiger Würfel, dessen willkürliche Augen zahl dazu diente, Ahiras Intelligenz, Ausdauer oder Stärke zu bestimmen. Ahira war stark, wenn auch vielleicht nicht schrecklich weise, und bestimmt nicht sehr geschickt, mit Ausnahme von Axt und Hammer.
    Dann gab es noch die pyramidenförmigen Würfel mit vier Seiten und die mit den acht Seiten – aber warum sich über diese technischen Einzelheiten den Kopf zerbrechen? Die waren egal. Die Regeln lernte man sehr schnell. Sie wurden einem so selbst verständlich wie einem normalen Menschen die Kunst des Radfahrens. Nachdem er es gelernt hat, fährt er einfach dahin …
    James Michael schloß die Augen und träumte vom Radfahren. Er sah den Boden unter sich dahingleiten. Es war so ähnlich wie Autofahren, aber mit viel mehr Kontakt zur Umwelt und …
    »James!«
    Seine Au gen öffneten sich, als habe man blitzschnell Rolläden
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