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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten
Autoren: Lisa Unger
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oder entkräften würde, während die Distanz zwischen uns immer weiter wuchs. Ich gab nicht mir die Schuld, suchte nicht nach eigenen Fehlern, fragte mich nicht, was falsch lief. So war es nicht - so war ich nicht. Er hatte jemanden kennengelernt, sie hatten sich gut verstanden und waren im Bett gelandet. Der Sex war gut gewesen, und er wollte mehr. Das sagte mir mein Bauchgefühl. Ich kannte ihn, ich wusste, wie empfänglich er für Schönheit war und wie unersättlich sein Appetit. Sie musste schon etwas ganz Besonderes gewesen sein, um ihn vom rechten Weg abzubringen, denn das war untypisch für ihn. Auch ich habe im Lauf der Jahre andere Männer kennengelernt. Auch ich war in Versuchung geraten. In gewisser Hinsicht konnte ich ihn sogar verstehen. Aber es lag nicht in meiner Natur, untreu oder unehrlich zu sein. Ich schaffte es nicht einmal, ihn anzulügen, wenn es um den Preis meiner neuen Manolo Blahniks ging. Aber das ist nicht mal ein Schuh! Das ist ein mit Zahnseide umwickelter Zungenspachtel. Isabel, damit kommst du keine hundert Meter weit!
    Der greifbare Beweis war schließlich eine SMS auf seinem Handy. Er stand unter der Dusche, das Handy lag neben mir auf dem Nachttisch. Normalerweise ließ er sein Handy nie herumliegen, er trug es immer bei sich, oder es steckte in seiner Laptoptasche. Ich hörte es summen, das Signal für eine eingehende SMS. Ich konnte nicht anders, als nach dem Handy zu greifen und die Nachricht zu lesen.
    Jemand namens »S« schrieb: Kann nur noch an dich denken. Kann dich immer noch in mir fühlen.
    Marcus kam aus dem Bad und brachte eine Dampfwolke mit ins Schlafzimmer, die nach unserem Salbei-Pfefferminz-Duschgel roch. Ich drehte mich zu ihm um. Er sah das Handy in meiner Hand und wahrscheinlich auch meinen Gesichtsausdruck. Wir waren beide wie erstarrt, als unsere Blicke sich trafen. Plötzlich erschien er mir fremd, so als sähe ich ihn zum ersten Mal halbnackt aus dem Badezimmer kommen. Eine seltsame Verspannung breitete sich von meinem Hals auf den gesamten Brustkorb aus. Die Luft zwischen uns knisterte fast.
    »Liebst du sie?«, fragte ich schließlich. Ich wunderte mich selbst über meine tonlose, nüchterne Stimme. Wahrscheinlich war es die letzte einfache Frage, und alles Weitere würde von der Antwort abhängen.
    »Nein«, sagte er schnell und schüttelte den Kopf, »natürlich nicht.«
    »Dann beende es.«
    Ein leichtes Sinken der Schultern, ein knappes Nicken, so als nähme er eine Einladung zum Kaffeetrinken an. »Okay«, sagte er leichthin.
    »Und such dir für heute Nacht einen Platz zum Schlafen. Ich will dich momentan nicht in meiner Nähe haben.«
    »Isabel«, sagte er.
    »Ich meine es ernst«, entgegnete ich. »Geh.«
    Ich war in meinem Stolz tief gekränkt, mein Herz angeknackst, wenn nicht gar gebrochen. Aber in erster Linie war ich enttäuscht. Nicht dass ich mir seinetwegen oder in Bezug auf unsere Ehe irgendwelche Illusionen gemacht hätte - nicht einmal in Bezug auf die Ehe insgesamt. Ich hätte nur gedacht, er verfüge über etwas mehr Selbstdisziplin. Ich hatte ihn für einen stärkeren Mann gehalten. Die Vorstellung, er könnte lügen, sich aus der Stadt stehlen und irgendwo in einem Hotel mit einer anderen Frau schlafen, machte ihn billig, weniger kostbar.
    Die nächsten Tage verbrachten wir getrennt voneinander. Wir telefonierten viel und kamen zu dem Schluss, dass es in unserer Ehe einige Probleme gebe, die es anzugehen gelte. Tränen flossen, Entschuldigungen wurden beiderseitig ausgesprochen und angenommen. Er kam nach Hause. Wir lebten weiter. Eigentlich bin ich nie darüber hinweggekommen, aber nach und nach fügte der Vorfall sich ins Webmuster unserer Ehe ein. Von nun an schienen die Farben leicht verändert, und der Stoff fühlte sich anders an. Nicht unbedingt schlechter, nur anders eben. Wir suchten keinen Therapeuten auf, wir steigerten uns nicht in irgendwelche Kleinigkeiten hinein und diskutierten nicht nächtelang darüber, ob und wann es wieder passieren würde.
    Die Probleme, die wir einräumen mussten - seine und meine Arbeitssucht, seine zeitweilige Unerreichbarkeit, meine Neurosen und Minderwertigkeitskomplexe - wurden nie angegangen. Ich schlug mich nicht damit herum, eventuell verlorengegangenes Vertrauen wiederzufinden. Ich betrachtete das Ganze als einen Ausrutscher. Und keiner von uns beiden sprach das Thema jemals wieder an. Damals hielt ich uns für unglaublich intellektuell, wir standen einfach darüber. Aber verleugnete
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