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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
Autoren: GABAL Verlag
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hast, dass du solche Tiefpunkte überstehen kannst, kannst du das auch auf den Schlamassel, in dem du heute steckst, übertragen. Aus »Ich weiß heute, dass ich mein Problem von damals bewältigen konnte, dass ich sogar daran gewachsen bin« wird: »Ich werde morgen wissen, dass mein Problem von heute auch zu schaffen ist.« Und als Bonus noch dazu: »Ich werde wissen, dass ich daran gewachsen bin.«
    Was sich wie eine Grammatik-Übung im Deutschkurs für Ausländer anhört, ist eine wesentliche Erkenntnis.
    Was sich wie eine Grammatik-Übung im Deutschkurs für Ausländer anhört, ist eine wesentliche Erkenntnis in der Kunst, sein Leben zu führen. Du stellst dir vor, du würdest mit einem Zeitabstand von fünf oder zehn Jahren auf die heutige Lage zurückblicken – und schon verliert die aktuelle Situation an Bedeutung oder gar Bedrohlichkeit. Das ist noch wirkungsvoller als die »Ich schlaf mal eine Nacht darüber«-Methode. Und funktioniert fast immer.
    Als ich sieben Jahre alt war, hatte ich einen brennenden Wunsch, der alles andere überstrahlte: Es gab diese schwarzen Plastik-Tennisschläger, Softball hieß das Spiel. Manche der Nachbarskinder hatten so ein Ding. Noch viel mehr faszinierte mich der dazugehörende knallgelbe Ball. Damit konnte man sogar im Zimmer spielen. So etwas zu besitzen musste die reine Glückseligkeit sein! Es verging kein Tag, an dem ich nicht mit dem Gedanken an so ein Teil aufwachte, und keiner, an dem ich nicht mit der heißen Sehnsucht danach schlafen ging.
    Damals wohnte ich mit meiner Familie noch im Osten. Die Schläger gab’s aber nur im Westen. Es hätte nichts gebracht, mein Taschengeld zu sparen, das waren ja Ost-Mark. Eltern, Tanten und Onkel waren auch keine Option. Keiner von ihnen würde für so etwas Westgeld ausgeben, wenn sie überhaupt welches hatten. Wir hatten auch keine Verwandten, die uns das Objekt meiner Begierde über die Grenze geschickt hätten. Es gab für mich einfach kein Rankommen. Umso mehr schmerzte mich das unstillbare Verlangen nach den Tennisschlägern und dem gelben Ball.
    Ich weiß heute noch genau, wie sich das angefühlt hat. Ein giftiger Mix aus Verzweiflung, Verlangen, Trauer, Wut, … Ich fühlte mich allein, machtlos, unverstanden. Denn alle anderen sagten: »Stell dich nicht so an. Hör auf, uns mit dem Zeug in den Ohren zu liegen.«
    Auch wenn meine damaligen Qualen aus heutiger Sicht Firlefanz waren – ich könnte heute eine ganze Schule mit dem Plastikkram ausstatten –, meine Gefühle, meine Verzweiflung damals waren echt. Sie aus heutiger Warte kleinreden zu wollen, wäre falsch. Für mich gab es damals keine Rettung. Als Kind wäre ich nicht in der Lage gewesen, meinen Wunsch mit dem Blick auf kommende Jahre zu relativieren. Aber Erwachsene können das sehr gut. Wenn sie es wollen.
    Wenn du Liebeskummer hast, gerade verlassen wurdest, kannst du dir nicht vorstellen, dass es jemals wieder besser wird. Du vergehst vor Kummer. Die Zeit bleibt stehen, unvorstellbar, dass es irgendwann wieder weiter im Leben geht. Wenn du dir in so einer Situation vorstellst, wie du in fünf oder zehn Jahren auf die heutige Zeit zurückschaust, dann relativierst du den Schmerz. Das heißt nicht, dass er ganz vergeht. Natürlich nicht. Aber er verliert seine absolute Macht über dich.
    Wenn du zurückschaust auf dein bisheriges Leben, dann erkennst du: Jeder Lebensabschnitt hatte seinen ganz eigenen Fokus. Alle paar Monate oder Jahre war eine andere Baustelle dran. Alles andere, schon Überstandene verblasste dagegen. Als Fünfjähriger hast du dir gedacht: »Ich würde gerne Rad fahren können.« Als Zehnjähriger war das kein Thema mehr für dich. Da wolltest du endlich das Bruchrechnen kapieren. Es hat genervt, wie der Lehrer dich vor der Klasse immer bloßstellte. Als 13-Jährigem war dir das Bruchrechnen so egal wie ein Sack Reis in China. Denn damals warst du zum ersten Mal hoffnungslos verliebt. Mit 19 Jahren hattest du diese Episode als eine echte Kinderei abgetan; du machtest gerade die erste wilde Trennung durch. Liebeskummer war dir mit 23 herzlich egal, jetzt stand dein Streit mit deinem Professor um ein paar Punkte in deiner Hausarbeit im Vordergrund. Du wolltest nicht, dass dein Notenschnitt versaut wird. Als 25-Jähriger hast du zum ersten Mal einen Job verloren. Die haben dich einfach nicht aus der Probezeit übernommen. Und so geht es das ganze Leben weiter.
    Die Sängerin Annett Louisan hat in ihrem Lied
Chancenlos
die Geschichte eines
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