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House of God

House of God

Titel: House of God
Autoren: Samuel Shem
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fast brechender Stimme.
    »Riskant?«
    »Ja. Heute bewundere ich diejenigen beinahe, die das tun, die dieses Risiko eingehen. Es ist so merkwürdig. In meinem vorigen Krankenhaus hatten meine Jungs große Zuneigung zu mir, aber hier, in diesem Jahr …« Sein Blick schweifte ab, suchte in stillem Erstaunen den Himmel, wie ein Mann, der zusieht, wie seine Frau seinen Hund überfährt. Abrupt wandte er sich mir wieder zu und sagte:
    »Sehen Sie, Roy, ich bin bestürzt. Die Dinge sind in Unordnung geraten: Drei von Ihnen gehen, und dann, was Sie da beim Essen über die Medizin im
House
gesagt haben, daß Potts sich deswegen umgebracht hat. Das ist mir noch nie passiert. Nie! Daß meine Jungs mich nicht leiden konnten. Ich weiß, zum Teufel, nicht, was hier vorgeht!« Er machte eine Pause und fragte dann: »Wissen Sie es? Warum ich?«
    Plötzlich wurde mir klar, wie sehr er litt, wie verwundbar er in diesem Augenblick war. Wußte ich, warum er? Ja. Es war genau dieses Wissen, das mich aus diesem Schlamassel befreit hatte. Sollte ich es ihm sagen? Nein. Zu grausam. Was würde Berry tun? Sie würde es ihm nicht sagen. Sie würde fragen. Ich würde ihn also auch fragen, ihm eine Möglichkeit geben, darüber zu sprechen, ihm einen Ausweg anbieten aus dem Urteil, um das er mich bat.
    »Es ist Ihnen noch nie passiert?« fragte ich. »Auch nicht in Ihrer Familie?«
    »Meiner was? Meiner Familie?« sagte er verdutzt. Er schwieg. Seine Miene war bekümmert. Vielleicht dachte er an seinen Sohn. Ich hoffte, er würde einen Weg finden, darüber zu sprechen. Als ich ihn ansah, wurde sein Gesicht traurig, und da hoffte ich, er würde nichts sagen, fürchtete, wenn er sich öffnete, würde er sich auflösen. Der
Chief
in Tränen? Das wäre zu viel für mich. Ich wartete. Die Zeit schien stillzustehen.
    »Nein«, sagte er schließlich und sah weg. »Nichts dergleichen. Zu Hause geht alles gut. Außerdem ist ja in vieler Hinsicht meine Familie das
House
hier.«
    Ich war erleichtert. Irgendwie hatte er die Dinge wieder um sich aufgerichtet und konnte weitermachen, undurchdringlich, kalt, der zähe kleine
pisher,
der er immer gewesen war. Er tat mir leid. Ich ging frei meiner Wege, er saß in einem Käfig. Wie so oft in meinem Leben hatte der Tiger sich als Papiertiger entpuppt, als Traumtiger: abgenutzt, gelangweilt, schüchtern, neidisch und traurig.
    Er streckte seine Hand zum Abschied aus und sagte:
    »Trotz allem, Roy, war es, nun, war es gar nicht so schlimm, daß Sie dieses Jahr hier waren.«
    »Für mich war es schwer, Sir. Es hat Zeiten gegeben, da habe ich Sachen getan, die Sie wütend gemacht haben, und das tut mir leid.«
    »Es muß Ihnen nichts leidtun. Ich verstehe es. Ich bin auch mal da durchgegangen, bei Gott. Aber wissen Sie, Roy, das sage ich Ihnen aus meiner Erfahrung: Warten Sie es ab, eines Tages werden Sie auf dieses Jahr als das beste Jahr Ihres Lebens zurückblicken.«
    Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, schüttelte ihm die Hand und ging.
    Ich verließ das
House of God
zum letzten Mal, ich war endlich frei, und doppelt frei, weil ich die Angst und Eifersucht derer erkannt hatte, die drinnen gefangen blieben. Diese Männer waren so verwundbar! Armer Nixon. Mit einer schweren Phlebitis, die ihn vielleicht umbrachte, – und zwar ganz sicher, wenn er Hooper zum Arzt hatte – dümpelte er mit schwerer Schlagseite dahin. Ich stand plötzlich auf dem Mikrofilm aus menschlichem Gewebe auf dem Parkplatz, den ich immer noch als Potts betrachtete. Ich spürte die warme Sonne auf meinem Gesicht, fühlte ein Gewicht an meiner Hand: meine schwarze Tasche. Ich wollte und brauchte sie nicht mehr. Was sollte ich damit machen? Sie dem nächsten Sechsjährigen geben, als Starthilfe auf den Weg nach oben? Sie irgendeinem unterprivilegierten armen Schlucker geben? Nein. Plötzlich wußte ich, was ich damit tun sollte. Wie ein Hammerwerfer schwang ich sie herum und herum und noch einmal herum, sammelte Schwung und schleuderte sie mit einem Schrei aus Bitterkeit und Freude hoch, hoch in die warme, frische Sommerbrise und sah dann zu, wie die glänzenden Chrominstrumente in einem Regenbogen herausfielen und unten auf das Pflaster klirrten.
    Am Abend holten die Polizisten Berry und mich ab, luden unser Gepäck in den Streifenwagen und rasten mit Blaulicht und Sirene zum Flughafen.
    »Wollen Sie wirklich Psychotherapeuten werden?« fragte Berry.
    »Die Couch erwartet schon die Ergüsse unseres Unterbewußtseins«, sagte
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