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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Autoren: Evelyn Sanders
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beschäftigt. Also ging sie selber zur Tür. Davor stand eine heftig schwankende Gestalt, die ihr sofort in die Arme fiel und sie an die Wand drückte. »Hi, Mutti«, lallte sie, »ich ha-habe ein g-g-ganz kleines büß-biß –, also ein b-bißchen was ge-getrunken, w-weil mei-meine F-Fr-Frau n-noch lebt und es ihr g-gut geht.« Er rülpste laut. »G-geht es d-dir auch g-gut?«
    Tinchen zog Tobias ins Haus, doch bevor sie die Tür schloß, warf sie einen Blick auf die Straße. Sein Auto war nirgends zu sehen. Gottseidank hatte er sich in seinem Zustand nicht mehr ans Steuer gesetzt, aber vermutlich hätte er erst gar nicht das Schlüsselloch gefunden!
    »Björn! Kannst du mal kommen?« Allein würde sie Tobias nie nach oben kriegen.
    Der Junge kam heruntergepoltert und sah sofort, was los war. »Heiliger Bacchus, der ist voll wie eine Strandhaubitze! Na ja, kann man ja irgendwie verstehen. Wo sollen wir ihn denn entsorgen, Tante Tina?«
    »Am besten im Arbeitszimmer, da fällt er nicht weiter auf.«
    »Was denn, in Onkel Florians heiliger Halle?«
    »Ja«, sagte Tinchen, obwohl sie damit ihre letzte Rückzugsmöglichkeit loswurde, »schaffst du das alleine?«
    Er schaffte es, lud Tobias auf dem Sofa ab, zog ihm die Schuhe aus und die Hose und dachte sogar an einen Plastikeimer und eine Flasche Mineralwasser, beides griffbereit geparkt. Als Tinchen mit einer Decke kam, schlief Tobias bereits den Schlaf des restlos Abgefüllten. »Wer schläft, sündigt bekanntlich nicht«, sagte Björn und schloß die Tür.
    »Stimmt! Das hat er gerade hinter sich.«
    Es dauerte keine fünf Minuten, Tinchen hatte sich gerade einen starken Kaffee gekocht und mit einem Schuß Remy Martin veredelt, als es schon wieder läutete. »Soll ich, Tante Tina?«
    »Nein, du sollst nicht! Füttere lieber Tim und Tanja ab, es wird Zeit, daß sie ins Bett kommen.«
    »Na klar, mach ich. Was kriegen sie denn?«
    »Grießbrei mit Himbeersaft. Aber laß ihnen noch was übrig!« Dann ging sie öffnen.
    Es war Frau Klaasen-Knittelbeek, die Einlaß begehrte und dringend mit der lieben Tina reden wollte, weil ihre Mutter doch wohl einiges völlig falsch verstanden hatte. »Es ist ja nicht so, daß ich Antonie hintergehen wollte, nur hatte sie vom ersten Tag an eine mir unbegreifliche Aversion gegen Herrn Voss, so daß ich es für besser hielt, sie über unsere gegenseitige Zuneigung zunächst im unklaren zu lassen. Das zarte Pflänzchen der keimenden Liebe hätte doch immer noch verdorren können.«
    Nichts interessierte Tinchen weniger als Frau Klaasen-Knittelbeeks blumenreiche Schilderung der heimlichen Rendezvous und der daraus resultierende Entschluß, ein zweites Mal den heiligen Bund der Ehe schließen zu wollen, doch nach zehn Minuten Stehkonvent zwischen Flur und Küchentür sah sie sich doch gezwungen, ihre Besucherin ins Wohnzimmer zu bitten und ihr pro forma einen Sherry anzubieten, den sie dankend akzeptierte. Sie war gerade beim Pfingstspaziergang durch den Hofgarten angekommen, nach dessen Ende Herr Voss seinen Antrag gemacht hatte, als es erneut klingelte. Diesmal war Björn schneller, sonst hätte Tinchen das Schlimmste noch verhindern können, denn wer nur Sekunden später ins Zimmer stürmte, war Frau Antonie. »Dachte ich's mir doch! Obwohl es nun wirklich keinen plausiblen Grund gibt, weshalb Sie Ihre alberne Liebesgeschichte ausgerechnet vor meiner Tochter ausbreiten! Glauben Sie wirklich, Dorothee, bei ihr mehr Verständnis zu finden als …«
    Mehr bekam Tinchen nicht mit. Sie hatte sich unbemerkt aus dem Zimmer geschlichen, leise den Telefonhörer abgehoben, sechs Zahlen getippt, zwei Sätze gesprochen und wieder aufgelegt. Dann war sie genauso leise ins Bad gegangen und hatte ein paar Gegenstände in eine kleine Tasche gepackt. Niemand sah sie, als sie aus dem Haus schlich, die Gartentür hinter sich schloß und die Straße hinunterlief. Nicht weit, nur hundert Meter, aber dort wurde sie an der geöffneten Haustür schon erwartet. Schluchzend fiel sie Ellen Hildebrandt um den Hals.
    »In ein paar Wochen werde ich siebenundfünfzig, da haben die meisten Frauen sie schon hinter sich, aber wann habe ich denn endlich mal Zeit für
meine
Midlife-Crisis?«
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