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Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)

Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)

Titel: Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)
Autoren: Joachim Masannek
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seine Finger bohrten sich unter der Fliegenpilzbettdecke durch das seidene Laken bis in die mit Rosshaar gefüllte Matratze.
    Gagga zog einen Schmollmund und schniefte pathetisch. »Ups. War das jetzt grausam? Hey, Gabi, was ist? Hab ich den Kerl zu hart angefasst? Hätte ich ihm was vorlügen sollen? Ein Märchen erzählen vom Dummkopf und der Honky-Tonk-Hexe?«
    Will entdeckte den Schwarzen Baron, der im Türrahmen stand. Der betrat keinen Raum. Der blieb auf der Schwelle stehen, der lebte im Schatten immer abseits des Lichts, und ohne den Zweispitz wirkte sein kleiner, von dünnen braunen Haaren bedeckter Kopf wie der einer Echse.
    »Dabei ist die Wirklichkeit doch noch viel grausamer!«, kicherte Gagga und wurde ernst. »Weißt du, wo du bist?« Er rieb sich den Nacken. »Nun, ich fange am besten ganz langsam an. Das Bett, in dem du liegst, ist das von Gabi-Marie, dem Schwarzen Baron, und in ihm haben wir seit drei Nächten alle ganz brav zusammen gekuschelt.«
    Will wurde schlecht. Er schwitzte und fror und die Wunde in seiner Brust begann wieder zu bluten.
    »Oh, das tat weh«, kommentierte Gagga den roten Fleck auf dem weißen Verband. »Aber das war doch noch lustig. Außer dass Gabi ein wenig muffelig riecht. Doch jetzt wird es ernst. Wir wurden begraben, Will, lebendig begraben. Dein lieber Freund Nat hat uns wie kleine Schiffchen versenkt, und jetzt sitzen wir in diesem Milbenhelm falsch herum auf dem Grund des verfluchten Ozeans und uns geht schon sehr bald die Puste aus. Ich meine, die Luft.«
    Er fasste sich an die Kehle und gab vor zu ersticken. Die Augen quollen aus den Höhlen.
    »Oh, Gabi, jetzt sag schon, wie lange haben wir noch?«
    »Diesen Tag und die nächste Nacht«, antwortete Talleyrand mit eisiger Stimme. »Die Milbe ist leck.« Der Baron deutete zum Bullauge an der Seite des Raums. Hinter dem stieg eine Reihe von Luftblasen auf.
    »Hast du das gehört?« Gagga klang heiser. »Also lass dir was einfallen, Karl aus der Hölle. Es wird Zeit für ein bisschen Dankbarkeit. Der Teufelsstupps lebt nur, weil wir es so wollten. Wir haben ihn gepflegt, gepäppelt und trocken gelegt. Du bist jetzt ein Mann, also benimm dich wie einer. Wach auf, Williboy-Satan, pack dein Schicksal mit beiden Händen und ramm deinen Pferdefuß in Nats Hintern. Bahm. Und das bitte mit Schmackes.«
    Doch Will schloss die Augen. Das Rosshaar der Matratzenfüllung zerschnitt seine Fingerkuppen, die er noch immer in die Matratze bohrte, und er betete, dass er das alles nur träumte. Das durfte nicht wahr sein. Das war doch unmöglich. Unmöglich und ungerecht.
    »Oho! Und jetzt heult er«, hörte er Gaggas spöttische Stimme. »Aber wofür und wozu? Komm, ich will dir was zeigen. Ich hatte dich echt für klüger gehalten. Für klüger und cooler. Aber jetzt machen wir das, was viele sich wünschen, wenn sie vor Selbstmitleid zerfließen. Wir schauen uns deine Beerdigung an.«

Will ist tot

    i e Sonne verschwand hinter den Wolken, die über dem Horizont standen, und verschwamm dort zu einem Brei aus blutigem Grau. Oder waren das die Tränen in Hannahs Augen, die alles verzerrten? Die junge Piratin stand auf dem Tatonka, dem aus einem Redwood geschälten riesigen Einbaum, und stützte sich auf die Reling der Bordwand. Seit drei Tagen stand sie an dieser Stelle und wartete darauf, dass Nat wie jeden Abend zu ihr zurückkommen würde. Nat und seine indianischen Krieger, die die Besatzung des Bisons stellten. Nats stumme, verschwiegene Piratencrew.
    Seit drei Tagen stand Hannah an der Reling. Sie aß nichts und trank nichts und sie zog sich nicht um. Sie trug noch immer die riesige Pumphose und das Schmetterlingsoberteil mit dem geflügelten Kragen. Sie stand dort und weinte, wenn keiner sie sah. In den ersten Tagen aus Wut. Aus Wut auf Will, der nicht mehr da war. Der sich erlaubt hatte, einfach so zu verschwinden. Nach dem Sprung von der Schlange. Dann wurde sie wütend auf sich selbst. Sie hatte Angst davor, dass ihm was passiert sein könnte, und diese Angst nahm ihr den Atem.
    Sie hasste das: Angst.
    Doch die Trauer war schlimmer und die kam danach. Die legte sich wie ein Felsblock auf sie und drohte sie nicht nur zu ersticken. Sie zerquetschte sie buchstäblich, und das seit drei Tagen. So lange suchten sie jetzt schon nach Will. Nat, seine Indianer und Moses Kahiki, ihre sechs Triple-Twins, die treuen Mädchen und alle Straßenkinder aus Berlin. Die Roten Korsaren durchstreiften das Meer in ihren wendigen Drachenbooten.
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