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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition)
Autoren: Hanni Münzer
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kaum geöffnet, da eilte ihr Mann ihr bereits den Flur ihrer weitläufigen Wohnung am Prinzregentenplatz mit langen Schritten entgegen, dicht gefolgt von Dackel Felix.
    „Servus, Gustav!“, begrüßte sie ihn betont lebhaft. „Verzeih, ich bin spät dran, aber auf den Straßen ist vielleicht etwas los, die Männer spielen wieder Militär. Und was glaubst du, wem ich heute begegnet bin! Diesem Mann, um den alle so ein Spektakel machen. Wie hieß er noch gleich? Hudler?“
    Sie kam gerade noch dazu, Ottilie, dem Mädchen, Schirm und Handschuhe zu überlassen, als ihr Mann sie bereits an den Schultern packte und heftig in seine Arme riss. Erschüttert verharrte Elisabeth in seiner Umklammerung. Ihr Mann war ja völlig außer Fassung! So hatte sie ihn noch nie erlebt.
    Der angesehene Arzt und die junge, aufstrebende Opernsängerin, gebürtig aus Wien, waren freilich auch erst seit wenigen Monaten verheiratet. Zwischen ihrer ersten Begegnung und der Hochzeit hatte kein Monat gelegen. In den Salons der feinen Gesellschaft hatte es deshalb einiges Gerede gegeben – eine so kurze Verlobungszeit bot reichlich Stoff für Spekulationen. Doch Elisabeth und Gustav war das einerlei gewesen. Nicht einen Tag länger hatten sie aufeinander warten wollen.
    Elisabeth war eine temperamentvolle Person, doch haftete ihr auch jene Form der Impulsivität an, die an nervöse Unruhe grenzt. Von einem Hunger angetrieben, von dem sie selbst nicht wusste, wie sie ihn je stillen sollte, war sie mit atemberaubender Geschwindigkeit durchs Leben gejagt und hatte dabei die Substanz des Lebens kaum gestreift - bis zu jenem denkwürdigen Tag, an dem sie Gustav begegnet war und im selben Moment der Faszination seiner ruhigen Persönlichkeit erlag. Behutsam hatte Gustav Elisabeths Lebensstrudel nach und nach das Tempo genommen.
    Trotzdem war Elisabeth immer noch Elisabeth. Es gab Eskapaden und Unpünktlichkeiten, doch Gustav begegnete ihnen stets mit jener Nachsicht, die einhergeht mit jungem Eheglück, gepaart mit dem Gleichmut des zwanzig Jahre Älteren.
    Aus diesem Wissen um Gustavs Unerschütterlichkeit resultierte Elisabeths Schrecken. Etwas Schlimmes musste geschehen sein! Seine Aufregung konnte nicht allein ihrer verspäteten Heimkehr geschuldet sein. Rasch rekapitulierte sie in Gedanken den Ablauf ihres Ausfluges.
     
    * * * * *
     
    Wie regelmäßig alle zwei Wochen hatte sie sich bei Auto-Sixt in der Seitzstraße ein Mercedes-Cabriolet mit Chauffeur bestellt, um ihrer Mutter, der Witwe Frau Maria Kasegger, einen zweitägigen Besuch abzustatten. Sie bewohnte ein kleines Haus in Diessen am Ammersee. Elisabeth hatte das Haus, das knapp zwei Stunden Autofahrt von München lag, von ihren ersten Gagen für sie erworben. Bis auf ein wenig Rheuma erfreute sich Frau Kasegger bester Gesundheit.
    Nach dem Frühstück heute Morgen hatten sie und ihre Mutter einen langen Spaziergang am Ufer des Ammersees unternommen. Nach dem gemeinsamen Mittagessen mit anschließendem Kaffee war Elisabeth dann zur vereinbarten Zeit von ihrem Chauffeur abgeholt worden.
    Elisabeth stammte aus einfachen Verhältnissen. Über ihren Vater gab es nicht viel zu berichten, außer, dass er ein Pechvogel bei all seinen Unternehmungen gewesen war.
    Es war im Jahre 1910, Elisabeth war gerade zehn Jahre alt, als er seine vom Vater geerbte Schuhmacherwerkstatt samt Wohnhaus in der Theresienstraße an einen windigen Spekulanten verloren hatte. Die Familie war gezwungen gewesen, in ein enges und feuchtes Quartier außerhalb der Stadtmauern Wiens zu ziehen.
    Meister Kasegger für seinen Teil gehörte freilich zu jenen Zeitgenossen, die über eine gehörige Portion des ganz besonderen Wiener Charmes verfügten. Man konnte ihm einfach nicht zürnen und die beiden Damen seines Haushalts liebten ihn über alle Maßen. Meister Kasegger selbst war es nicht mehr beschieden, die Erfolge seiner Tochter mitzuerleben: 1914 war er einer der Ersten gewesen, die sich begeistert den kaiserlichen Truppen angeschlossen hatten, um den feigen Mord am österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand zu rächen. Und er gehörte dann auch zu den Ersten, die ihr Leben für das Vaterland ließen. Wie gesagt, er war ein Pechvogel.
    Auf der Rückfahrt von Diessen nach München hatte Elisabeth ein menschliches Bedürfnis überkommen, welches wohl dem wässrigen Kaffee der Mutter geschuldet war. Und so hatte sie überlegt, nochmals umzukehren, respektive Ausschau zu halten nach einem anständigen Gasthaus, als ihr
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