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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition)
Autoren: Hanni Münzer
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fassen.
    „Woher in Gottes Namen willst du dies denn alles so genau wissen, Mom?“
    „Durch eine eifrige Studentin, die sehr gut englisch spricht und im Stadtarchiv ein Praktikum macht. Leider konnte sie mir nicht sagen, warum Mutter im Gefängnis war, nur, dass sie ein Verbrechen innerhalb der Vatikanischen Mauern verübt haben soll. Darum fand sie keine Akten hierzu, weil sich diese im vatikanischen Archiv befinden müssen. Man muss einen Antrag stellen, um sie einzusehen. Das habe ich gleich morgen vor. Die junge Frau fand aber heraus, dass der richtige Name deines Großvaters Raffael Valeriani lautet und nicht Ralph Valerian. Auf meiner italienischen Geburtsurkunde steht `Vater unbekannt´. Das bedeutet, dass der Mann, den ich bisher als meinen Vater angesehen habe, gar nicht mein Vater gewesen ist. Sie haben mich beide belogen. Ich will herausfinden, wer mein richtiger Vater ist. Darum bin ich hier.“
    Felicity starrte ihre Mutter fassungslos an. Plötzlich fiel ihr der Zeitungsausschnitt ein, den ihr der Pfleger gegeben hatte und den sie in ihrer Handtasche verwahrte. War der Mann auf dem Bild jener, den ihre Großmutter 1960 laut ihrem Großvater hatte töten wollen? Hatte sie es womöglich schon einmal versucht? Sie überlegte, ob sie den Ausschnitt hervorholen und ihrer Mutter zeigen sollte.
    Aber diese hatte sich bereits wieder von ihr abgewandt und sah nun Pater Simone durchdringend an. „Und, könnten Sie diesen Text für mich übersetzen?“ Es lag kein Flehen in ihrem Blick, vielmehr eine Aufforderung, dass es seine Pflicht wäre, es zu tun. Sie brachte ihn damit in die Bredouille. Pater Simone überlegte, wie viele eigene Pflichten seiner die nächsten Tage harrten. Er hatte Prüfungen abzunehmen, eine wissenschaftliche Arbeit musste eingereicht werden und das Jesuiten-Theater, dessen Leitung er innehatte, plante in Kürze eine Aufführung von Shakespeares Sommernachtstraum. Die Kulissen waren nicht fertig, in der Inszenierung gab es Unstimmigkeiten und sein Hauptdarsteller hatte sich eine böse Sommergrippe eingefangen. Er wusste, dass er keine freie Minute für die Übersetzung erübrigen konnte. Schon die wenigen Stunden, die er sich heute abgerungen hatte, drohten seinen gesamten Zeitplan zu sprengen. Nein, ausgeschlossen, er konnte wirklich keine Zeit für eine weitere gute Tat erübrigen und hörte sich jetzt antworten: „Sehr gerne, Signora Benedict. Aber ich werde einige Tage dazu brauchen. Inzwischen könnten Sie und Ihre Tochter sich ein wenig Rom ansehen? Ich werde mich bei Ihnen melden, sobald ich fertig bin. Va bene?“ Innerlich verfluchte er sich selbst. Neugier war wirklich sein größtes Laster. Die achte Todsünde. Aber da war noch etwas, das über seine Neugierde hinausging.
    Er war Seelsorger und hatte längst erfasst, dass das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter brüchig war. Es stand sehr viel Ungesagtes zwischen ihnen, als befänden sie sich auf den gegenüberliegenden Seiten eines Abgrundes. Falls das Rätsel in der Vergangenheit der Großmutter begründet lag, so würde er versuchen, ihnen eine Brücke zu bauen, indem er ihnen half, dieses zu lösen. Dann lag es an den beiden Frauen, diese Brücke zu betreten, um aufeinander zuzugehen.

 
     

    Kapitel 4
     
     
    Fünf Tage später meldete sich ein übernächtigter Pater Simone telefonisch bei Felicity. Er hatte für die Übersetzung alles andere stehen- und liegen lassen und fast ununterbrochen daran gearbeitet. „Ist Ihre Mutter in der Nähe?“ Er flüsterte beinahe.
    „Nein, sie ist kurz nach unten gegangen. Sie wollte ein paar Besorgungen machen.“ Felicity wunderte sich über seine Frage.
    „Sehr gut. Ich bin mit der Übersetzung fertig. Und ich muss gestehen, die Zeilen haben mich tief erschüttert. Auf etwas Derartiges war ich nicht gefasst gewesen, Signorina Felicity. In den Aufzeichnungen geht es um das Schicksal Ihrer Familie während des 2. Weltkrieges in Europa. Aber ich kann und will der Geschichte nicht vorgreifen. Sie müssen das unbedingt selbst lesen, dann werden Sie verstehen, was ich meine. Die Aufzeichnungen stammen tatsächlich von Ihrer Großmutter, wie Ihre Mutter vermutet hatte. Es ist aber kein Tagebuch, wie zunächst von ihr angenommen, sondern vielmehr wie ein Roman verfasst. Am Anfang werden Sie das Gedicht finden sowie eine kurze Erläuterung von Raffael Valeriani. Er war es, der ihre Großmutter dazu ermuntert hat, ihre Geschichte niederzuschreiben. Es sollte ihr dabei helfen, ihre
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