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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition)
Autoren: Hanni Münzer
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geschrieben?“, wollte Felicity wissen, die dem Wortwechsel zunehmend verwirrt gefolgt war.
    „Ich vermute, dass es von deiner Großmutter stammt.“
    „Großmutter konnte Hebräisch?“
    „Offensichtlich.“
    „Hast du das gewusst?“
    „Nein, sie hat es nie erwähnt. Außerdem war sie keine Italienerin, sondern eine Deutsche, die erst nach dem Krieg nach Rom kam. Darum bin ich hier. Sie hat mich und Vater ihr Leben lang belogen und betrogen. Sie hat ihn damit in den Tod getrieben. Ich weiß es.“
    „Was?“ Entsetzt sah Felicity ihre Mutter an. „Bist du verrückt geworden? Was erzählst du denn da?“
    „Weil es wahr ist. Mutter ist schuld am Tod deines Großvaters.“
    „Aber es hieß doch immer, Großvater hätte 1960 einen Autounfall gehabt!“
    „Ja, aber nur, weil sie sich mit ihm gestritten und ihn dann aus dem Haus geworfen hat. Er ist in sein Auto gestiegen und gegen einen Baum gefahren. Ich glaube, er hat es mit Absicht getan.“
    „Wie kannst du nur so etwas sagen, Mutter! Und woher willst du das wissen? Du warst doch damals noch ein Kind!“
    „Ich war vierzehn, alt genug! Ich habe mich erst wieder richtig an die Geschehnisse am Todestag deines Großvaters erinnert, als ich die Schachtel mit dem Gedicht in Großmutters Zimmer fand. Vermutlich habe ich diesen furchtbaren Tag verdrängt gehabt. Als ich sein Gedicht für sie las, war plötzlich alles wieder da. Hier“, ihre Mutter kramte ein kleingefaltetes Stück Papier aus ihrer Handtasche, „lies es. Es ist auf der Rückseite datiert. Dein Großvater hat es zwei Tage vor seinem Tod geschrieben.“
    „ Honigtot“, murmelte Felicity, nachdem sie es zu Ende gelesen hatte. „Es klingt melancholisch und sehr traurig.“
    „Das ist es auch. Dieser Streit damals war nicht ihr erster, das ging schon seit mehreren Tagen so. Dabei hat dein Großvater nie geschrien. Er war ein sanfter Mann und bis dahin hatte ich noch nie erlebt, dass er seine Stimme gegen Mutter auch nur einmal erhoben hätte. Er hat sie angebetet und wie eine Königin behandelt, so nannte er sie auch, `meine Bienenkönigin´. Es ging damals immer wieder um dieselbe Sache. Sie schrie ihn an, dass er sie belogen hätte und der Mann damals gar nicht gestorben wäre und er sie um ihre Rache betrogen habe. Sie war deshalb völlig hysterisch. Vater wehrte sich, meinte, er habe damals zuerst an das Kind denken müssen. Vor allem wollte er partout nicht, dass Mutter nach Israel fliegt. Ich erinnere mich noch, dass es um einen Prozess ging, bei dem sie unbedingt dabei sein und aussagen wollte. Vater hingegen hat behauptet, dass es ihr nicht um eine Aussage ginge, sondern nur darum, den Mann zu töten.“
    „Welchen Mann?“
    „Ich weiß es nicht. Aber ich bin hier, um es herauszufinden.“
    Erschüttert sank Felicity neben ihrer Mutter aufs Bett. Ihre Großmutter hatte vorgehabt jemanden zu töten und ihr Großvater hatte sie daran hindern wollen? Das alles ergab für sie keinen Sinn. „Das erklärt nicht, warum du so überstürzt nach Italien geflogen bist. Was macht dich so sicher, dass du gerade hier Antworten bekommst?“
    „Weil in Rom alles begann. Hier haben sich dein Großvater und deine Großmutter kurz nach dem Krieg kennengelernt. Nicht in Seattle, wie sie immer behauptet haben.“
    Felicity sah ihre Mutter ungläubig an. „Aber warum sollten sie uns deshalb angelogen haben? Außerdem, davon steht nichts in dem Gedicht.“
    „Nein, aber in der Schachtel lag auch meine italienische Geburtsurkunde! So viel Latein kann ich, dass ich verstehe, was ein `Certificato di nascita´ ist. Entgegen Mutters Behauptung wurde ich nicht in den Staaten geboren, sondern in Rom, in einem Gefängnis! Sie muss sich den amerikanischen Taufschein in den Nachkriegswirren erschlichen haben.“
    „Großmutter soll dich in einem italienischen Gefängnis geboren haben?“ Hilfesuchend sah Felicity zu Pater Simone. Der hatte die Augenbrauen hochgezogen und sah genauso ratlos aus wie sie.
    „Ja, das hat sie“, beteuerte Felicitys Mutter. „Ich bin gestern gleich zu der Adresse gefahren, die auf der Urkunde vermerkt ist, aber da steht jetzt ein Wohnblock. Das Gefängnis wurde längst abgerissen. Mutter muss Großvater dort begegnet sein, er hat da gearbeitet, jedenfalls taucht sein Name auf einer Angestellten-Liste im Stadtarchiv von 1944 auf. Und er war scheinbar nicht nur Arzt, sondern auch Priester.“ Martha Benedict klang erschüttert, als konnte sie Letzteres noch immer nicht
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